Die Geheimnisse des Nicholas Flamel - Die silberne Magierin: Band 6 (German Edition)
Krankenschwester gearbeitet. Sie hatte zu den achtunddreißig Freiwilligen gehört, die zusammen mit Florence Nightingale im Lazarett von Scutari auf der Halbinsel Krim Verwundete gepflegt hatten. Tsagaglalal war dem Tod im Lauf der Jahrhunderte so of begegnet – und hatte ihn herbeigeführt –, dass ihre Arbeit als Krankenschwester ein Versuch war, ein wenig von dem von ihr verursachten Leid wiedergutzumachen.
Hinter der Schwesterntracht hingen Kleider aus sechs Jahrhunderten. Sie waren aus Leder und Leinen, Seide und Synthetikstoffen, Fell und Wolle. Das perlenbestickte Kleid, das sie für Katherina die Große von Russland genäht, und das Mieder, das Anna Boleyn am Tag ihrer Hochzeit mit Heinrich VII. getragen hatte, waren dabei und darunter standen die Schuhe, die Marie Antoinette ihr geschenkt hatte. Tsagaglalal lächelte und zeigte dabei ihre makellosen Zähne. Museen und Sammler würden für diese Kleider ein Vermögen bezahlen.
Ganz hinten im Schrank stand ein praller Jutesack.
Mühelos hievte Tsagaglalal ihn heraus und trug ihn in ihr Schlafzimmer, wo sie ihn aufs Bett legte und an dem Band zog. Einen Augenblick lang widersetzte es sich, dann brach das alte Leder und zerfiel zu Staub. Der Beutel stand offen.
Tsagaglalal griff hinein, zog eine weiße Keramikrüstung heraus und breitete sie auf dem Bett aus. Sie war schmucklos, aber elegant und so gearbeitet, dass sie ihren Körper wie eine zweite Haut umschloss. Sie strich über die glatte Brustplatte. Die Rüstung war in tadellosem Zustand und glänzte wie neu. Als sie sie das letzte Mal getragen hatte, war sie von Metall und Klauen aufgeschlitzt und zerkratzt worden, doch sie konnte sich selbst reparieren. »Magie?«, hatte Tsagaglalal ihren Mann Abraham gefragt.
»Technologie der Erdenfürsten«, hatte er ihr erklärt. »Es wird Tausende von Jahren dauern, bis wir wieder Ähnliches zu sehen bekommen – und noch besser wäre nie mehr.«
Ganz unten in dem Beutel lagen zwei kunstvoll gearbeitete Scheiden aus Holz und Leder. In jeder steckte ein Khopesh, ein gebogenes, sichelähnliches Krummschwert, wie es die alten Ägypter gerne getragen hatten, obwohl seine Ursprünge sehr viel älter waren. Sie zog eines aus seiner Scheide. Die Klinge war so scharf, dass es pfiff, als sie damit durch die Luft schnitt.
Tsagaglalal strich mit den Fingern über die schnörkellose Rüstung. Ihr Mann Abraham der Weise hatte sie ihr zusammen mit den Schwertern vor zehntausend Jahren geschenkt. »Damit dir nichts passiert«, hatte er gesagt. Er konnte nur noch undeutlich murmeln. »Jetzt und alle Zeit. Denk an mich, wenn du sie trägst.«
»Ich werde, auch wenn ich sie nicht trage, immer an dich denken«, hatte sie versprochen. Und es verging tatsächlich kein Tag, an dem sie nicht an den Mann dachte, der so hart gearbeitet und so große Opfer gebracht hatte, um die Welt zu erschaffen und zu retten.
Sie hatte sich lebendige Erinnerungen an ihn bewahrt.
Abraham stand groß und schlank in einem abgedunkelten Raum ganz oben im Kristallturm, dem Tor Ri . Schatten hüllten ihn ein und er hatte sich von ihr abgewandt, damit sie nicht sehen sollte, dass der Wandel bei ihm schon so gut wie abgeschlossen war. Er hatte seinen Körper in reines Gold verwandelt. Sie erinnerte sich, wie sie ihn ins Licht gedreht hatte, damit sie ihn noch einmal anschauen konnte. Ihr war klar gewesen, dass es wahrscheinlich das letzte Mal war. Dann hatte sie ihn in den Arm genommen, sich an Metall und Haut geschmiegt und an seiner Schulter geweint. Und als sie ihm ins Gesicht gesehen hatte, war eine einzelne Träne, eine Perle aus reinem Gold über seine Wange gerollt. Sie hatte sich auf Zehenspitzen gestellt, ihm die Träne weggeküsst und sie verschluckt. Tsagaglalal legte die Hand auf ihren Bauch. Sie schlummerte immer noch in ihr.
Die Wächterin, wie Tsagaglalal auch genannt wurde, hatte die weiße Rüstung am letzten Tag von Danu Talis getragen. Jetzt war es Zeit, sie wieder anzulegen.
KAPITEL ZEHN
E s wurde Abend und Nebel kroch nach San Francisco hinein.
Ein paar Schwaden schlängelten von der Bucht herüber. Wie Rauchfäden glitten sie über die Wasseroberfläche und verschwanden dann wieder. Einige Minuten später war der Nebel erneut da. Er war dichter geworden und wellte sich in grauweißen Bändern übers Wasser.
Der Nebel verdichtete sich weiter.
Ein Nebelhorn tutete.
Draußen auf dem Atlantik türmte sich eine dicke Wolkenbank auf. Unten war sie dunkel, fast schwarz, und man
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