Die Geheimnisse des Nicholas Flamel - Die silberne Magierin: Band 6 (German Edition)

geplant wurde, bald zu Ende.«
    Osiris lehnte sich in seinem Sessel aus massivem Gold zurück und legte die Fingerspitzen wieder so aufeinander, dass seine Hände ein Dreieck bildeten. »Du bist sehr scharfsinnig.«
    »Wer mich unterschätzt, tut es auf eigene Gefahr.« Sie lächelte. »Mein Gebieter des Älteren Geschlechts hat es getan – und du weiß, was mit ihm geschehen ist.«
    »Ich frage mich, ob du ohne deine Flöte genauso unerschrocken wärst«, überlegte Osiris laut.
    Virginia griff unter ihre Tunika, brachte die schlichte Holzflöte zum Vorschein und schüttelte sie aus ihrer Stoffhülle. Sonnenlicht flirrte über die ins Holz eingeritzten Spiralen. Osiris spannte alle Muskeln an und legte eine Hand auf die Armlehne seines Sessels. Wahrscheinlich war dort irgendwo eine Waffe verborgen – ein Messer oder ein Wurfstern. Mit einer schnellen Bewegung warf sie dem Älteren die Flöte zu.
    Osiris griff danach – und zog scharf die Luft ein, als die Haut an seiner Handfläche zischte und rauchte. Er wollte die Flöte in den Teich werfen, doch Virginia fing sie auf, ließ sie einmal kreisen, um ihr einen Ton zu entlocken, und ließ sie dann in einer einzigen fließenden Bewegung wieder in der Stoffhülle und unter ihrer Tunika verschwinden.
    Osiris ging auf die Knie und streckte die Hand ins Wasser. »Du hättest mich warnen können.«
    »Hättest du mir geglaubt, wenn ich dir gesagt hätte, dass du sie nicht halten kannst?«
    »Wahrscheinlich nicht«, gab er zu.
    »Eine Demonstration ist mehr wert als tausend Worte.«
    »Ich bin schon früher mal auf solche Artefakte gestoßen«, erzählte Osiris. »Ein paar stammten aus der Ära der Erdenfürsten oder der Archonen. Ich habe nie herausbekommen, weshalb wir Älteren sie nicht berühren können. Weißt du es?«
    »Ja«, antwortete sie knapp.
    »Aber du verrätst es mir nicht?«
    »Nein.«
    Osiris setzte sich wieder in seinen goldenen Sessel. Von seiner rechten Hand tropfte Wasser auf die Bodenplatten. »Du bist eine echte Offenbarung, Miss Dare«, murmelte er. »Mir wird plötzlich klar, dass ich jahrhundertelang mit dem falschen Humani-Agenten verhandelt habe. Dee war ein Schwachkopf – ein nützlicher Schwachkopf, zugegeben. Aber wir hätten mit dir verhandeln sollen.«
    Virginia Dare schüttelte den Kopf. »Den Doktor hattest du immer unter Kontrolle. Mich hättest du nicht unter Kontrolle halten können.«
    Osiris nickte. »Vielleicht nicht. Aber mit dir hätten wir anders verhandelt.«
    »Ehrlich, meinst du?«
    »Wir waren auch zu ihm immer ehrlich«, beteuerte Osiris ernst. »Er zu uns dagegen kaum. Du musst das wissen.«
    »Wozu braucht ihr die Zwillinge?«
    Osiris leckte über die verbrannte Stelle an seiner Hand. Leuchtend blaue Augen betrachteten sie gelassen. Dann lächelte er plötzlich. »Ich könnte es dir sagen, aber danach müsste ich dich umbringen.«
    »Wenn du es mir nicht sagst, bringe ich womöglich dich um.« Erneut erwiderte Virginia sein Lächeln in derselben Art.
    »Du könntest es versuchen.«
    »Das könnte ich, aber du willst nicht wirklich, dass ich es tue.«
    Plötzlich waren die Stimmen von Sophie und Josh zu hören und Osiris und Virginia drehten sich wieder danach um. Die Stimmen wurden lauter, als die Zwillinge näher kamen.
    »Ich sage dir jetzt, was ich denke«, begann Virginia leise. »Du brauchst ihre Auren. Du brauchst für irgendetwas die Kraft von Gold und Silber. Für etwas Spektakuläres. Habe ich recht?«
    »Du hast nicht unrecht.«
    »Ich mache mir nur wegen einer Sache Gedanken«, fuhr sie fort.
    Osiris’ ausdruckslose Miene veränderte sich nicht und er leckte weiter seine Hand.
    »Seid ihr wirklich ihre Eltern?«
    »Sie sind unsere Kinder«, antwortete er nach kurzem Überlegen. »Ein ganzes Leben lang haben wir sie darauf vorbereitet.«

KAPITEL SIEBZEHN
    Q uetzalcoatl hasste die Feuchtigkeit. Er trug einen dreiteiligen Anzug aus schwerer Wolle, den er sich ein Jahrhundert zuvor in London gekauft hatte. Außerdem hatte er sich in einen schwarzen, dreiviertellangen Ledermantel gewickelt und den hohen Kragen aufgestellt. Hals und Kinn wärmte ein gemusterter Thermoschal. Dazu trug er einen schwarzen Hut mit einem Strauß Federn aus seinem eigenen Schwanz im Hutband. Die Hände steckten in pelzgefütterten Handschuhen. Er fror trotzdem noch. Wie er dieses Schattenreich hasste!
    Die Gefiederte Schlange drehte sich um, als ein großer schwarzer Cadillac mit getönten Scheiben auf den verlassenen Parkplatz von