Die Geheimnisse des Nicholas Flamel - Die silberne Magierin: Band 6 (German Edition)
drüber weg. Nicholas hielt ihr den Dreizack hin und sie ergriff ihn, zog ihren Mann dabei aber fast zu Boden.
Der gefrorene grüne Teppich barst und die wilden Seejungfern brachten das Meer zum Brodeln. Zwischen Gischt und Schaum tauchten immer wieder grünes Haar und Fischschwänze auf.
Die Zauberin zeigte nach links. »Die Insel liegt da drüben.« Sie entriss ihrem Mann den Dreizack und wehrte damit eine Nereide mit messerscharfen Zähnen ab, die sich aus dem Wasser schwang. Die Kreatur schrie auf, als die Steinklingen eine dicke grüne Haarsträhne absäbelten. Sie krachte mit dem Rücken aufs Eis und katapultierte sich zurück ins Wasser. Perenelle richtete den Dreizack gegen die nächste. Die Kreatur schlug einen Purzelbaum, um aus der Reichweite der Waffe zu kommen, doch Perenelle erwischte sie noch an der Schläfe. Immer wieder schwang die Zauberin den Dreizack. Er sirrte vor reiner Energie und plötzlich lag Fischgestank in der Luft. Da fiel der Zauberin wieder ein, wo sie die Waffe schon einmal gesehen hatte: in den Tunneln unter Alcatraz in der Hand des Alten Mannes aus dem Meer.
»Das ist der Dreizack von Nereus«, rief sie ihrem Mann zu. »Wieso gibt er ihn aus der Hand?«
»Freiwillig hat er ihn bestimmt nicht hergegeben.« Flamel ächzte. Mit der Hand auf dem Skarabäus konzentrierte er sich darauf, das nächste Stück der Eisbrücke entstehen zu lassen, doch seine Kräfte ließen rasch nach. Das Eis war jetzt schon viel dünner und knackte unter ihrem Gewicht. »Lange kann ich das nicht mehr machen.«
»Wir sind fast da«, rief Perenelle über den Lärm der Nereiden, die ringsherum das Wasser aufpeitschten. Obwohl sie die Reste ihrer Aura lieber aufgespart hätte, war ihr klar, dass sie kaum eine andere Wahl hatte, als sie einzusetzen, wenn sie überleben wollten. Sie erinnerte sich an einen kleinen Zauber, den sie bei Saint-Germain abgeschaut hatte – sehr effektiv, ohne zu viel Kraft zu rauben.
Eine zähe Flüssigkeit floss aus ihren Handflächen in den steinernen Dreizack. Dieser färbte sich tiefrot, dann schwarzblau. Die Zauberin tauchte ihn ins Meer und die Farbe verteilte sich wie Öl im Wasser. Als sie die Waffe wie einen Quirl hin und her drehte, spritzte die Flüssigkeit hinaus ins Meer. » Ignis «, flüsterte sie.
Mit einem Schlag wurde es hell. Blaurote Flammen tanzten über die Wasseroberfläche und beleuchteten ein paar von Tang überzogene Felsen. Direkt oberhalb der Felsen war eine niedere Mauer mit Roststreifen und einem Metallzaun als Abschluss. Über dem Zaun ragte zwischen Bäumen und stachligen Kakteen ein großes Holzschild auf, an dem die Farbe abblätterte.
WARNUNG
WER DIE FLUCHT VON
GEFANGENEN ERMÖGLICHT
ODER DECKT, WIRD
STRAFRECHTLICH VERFOLGT
UND MIT GEFÄNGNIS BESTRAFT.
Mit letzter Kraft warf Flamel seine Aura über die Steine und beobachtete, wie sie zu einer behelfsmäßigen Treppe gefror. Dann hielt er seiner Frau die Hand hin und half ihr über die rutschigen Stufen. Die Klingen des Dreizacks schnitten den Zaun auf und das Paar kroch auf allen vieren zu einem schmalen, schlüpfrigen Weg unterhalb des Warnschildes hinauf. Oben angekommen sanken sie auf den Boden, rollten sich auf den Rücken und schauten zu der abblätternden Tafel hinauf.
»Willkommen auf Alcatraz«, sagte der Alchemyst. Erschöpft und aufgewühlt rappelten sie sich auf, nur um sich gleich wieder auf eine Holzbank fallen zu lassen. Früher hatten Touristen von diesen Bänken aus die Aussicht auf die Stadt und die Brücke genossen. Einen Augenblick lang saßen die beiden nur da und versuchten wieder zu Atem zu kommen. Dann drehte sich Nicholas zu seiner Frau um. Im Nebel wirkte ihr Gesicht fast überirdisch schön. »Mir ist gerade etwas klar geworden«, sagte er in archaischem Französisch.
Perenelle nickte. »Ich weiß.«
»Wir werden diese Insel nicht mehr lebend verlassen, oder?«
»Nein, werden wir nicht.«
KAPITEL EINUNDDREISSIG
H ekate, die Göttin mit den drei Gesichtern, saß im Thronsaal des Weltenbaumes.
Der Saal war erstaunlich klein, kaum mehr als ein aus dem Yggdrasill herausgearbeitetes rundes Vorzimmer. Die Kammer war gewachst und auf Hochglanz poliert. Aus einem verkümmerten, knorrigen Ast hatte man einen kunstvollen Thron geschaffen. Die Wände waren kahl und der einzige Schmuck in dem Raum war eine weiße Kerze, so groß und dick wie ein erwachsener Mensch. Sie stand rechts neben dem Thron und die warme gelbe Flamme wurde von einer Kristallkugel geschützt.
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