Die Geheimnisse des Nicholas Flamel - Die silberne Magierin: Band 6 (German Edition)
nickte. »Der war ich einmal. Das ist lange her.«
»Dann sag mir, Geschichtenerzähler – welches ist der größte Fehler, den Eltern machen können?«
»Zu glauben, dass die Kinder genauso werden wie man selbst.«
Hekate nickte. »Die Welt ändert sich ständig, sie gehört der nachfolgenden Generation.« Sie legte Prometheus eine Hand auf den Arm. »Sie gehört der Menschheit. Aber die von Isis und Osiris angeführten Älteren oder die Anhänger von Bastet können sich eine Welt, die sie nicht regieren, einfach nicht vorstellen. Deshalb haben sie sich überlegt, wie sie die Kontrolle behalten können. Sie wollen uns vernichten. Uns alle – Ältere und Menschen gleichermaßen. Und das werde ich nicht zulassen.« Die zusehends älter werdende Frau erhob sich. »Heute Nachmittag, als ich gerade diese Gestalt angenommen habe, erfuhr ich, dass Bastet und Anubis gegen Aten vorgegangen sind. Das Ende muss wirklich nahe sein. Es ist Zeit.«
Ein kaum merkliches Zittern ging durch den Yggdrasill, ein leises Dröhnen, das sich von unten nach oben durch das dicke Holz fortsetzte. Die Kerzenflamme tanzte. Sofort beugte Prometheus sich vor, hob die Glaskugel und löschte die Flamme zwischen Daumen und Zeigefinger.
Hekate neigte den Kopf und hob die rechte Hand. »Hört ihr?«, flüsterte sie.
»Will, was passiert da draußen?«, rief Palamedes.
»Die Lichter gehen aus«, antwortete der Dichter leise. Er blickte in das hohle Herz des Baumes. »Blätter fallen wie Schneeflocken.«
Eines nach dem anderen gingen sämtliche Lichter im Weltenbaum aus. Stimmen verstummten.
Das Knarren, Knacken und Seufzen des Yggdrasill war deutlich zu hören.
»Er hat Schmerzen«, flüsterte Hekate.
Wieder ging eine Erschütterung durch den Baum.
»Ein Erdbeben« wisperte Scathach. Das Zittern setzte sich bis in ihre Wirbelsäule fort.
»Sie sind in den letzten Tagen immer häufiger aufgetreten«, bemerkte Prometheus. Er machte keine Anstalten, die Kerze wieder anzuzünden. »Ebenfalls in den letzten Tagen sind Ältere – und selbst ein paar Große Ältere – aus ihren Schattenreichen gekommen und haben sich im Schattenreich Erde versammelt. Es ist viele Jahrhunderte her, dass so viel Energie an einem Ort zusammenkam.«
»Das eine muss mit dem anderen zusammenhängen«, vermutete Saint-Germain und Johanna fragte: »Ist es eher ungewöhnlich, dass so viele Ältere in der Stadt sind?«
»Oh ja. Wir sind …« Hekate machte eine kleine Pause und schaute Prometheus an. »Wir sind von Natur aus Einzelgänger. Besonders diejenigen, die der Wandel radikal verändert hat.«
Prometheus beugte sich vor. »Heute Abend tritt der Herrscherrat von Danu Talis zusammen. Und wer weiß, was passiert, jetzt, da Bastet Aten vom Thron gestoßen hat. Sie wird alles daransetzen, dass Anubis zum Herrscher über Danu Talis ernannt wird. Er hat die Anpu erschaffen und kontrolliert sie. Sie werden ihm helfen.«
»Sie werden Aten zum Tod im Vulkan verurteilen.« Hekates Stimme wurde brüchig. Ihr Gesicht war von tiefen Falten durchzogen und ihr Atem kam in unregelmäßigen Stößen. »Und das werde ich ebenfalls nicht zulassen.«
»Dann eilen wir jetzt also Aten zu Hilfe?«, fragte Prometheus. »Um ihn zu retten?«
Die alte Frau blickte ihn stirnrunzelnd an. »Wen?«
»Aten«, wiederholte er geduldig, »den rechtmäßigen Herrscher über Danu Talis. Nur Ihr könnt den Befehl dazu erteilen.« Es kostete ihn sichtlich Mühe, die Panik aus seiner Stimme herauszuhalten. »Und Ihr müsst ihn jetzt erteilen, denn wenn Ihr morgen die zweite Phase Eures Seins erreicht, ist es zu spät.«
»Ich fürchte, es ist bereits zu spät für Danu Talis«, flüsterte die alte Frau. »Geh, Prometheus, geh und bring Aten nach Hause.«
»Und wenn es Krieg bedeutet?«
»Dann soll es so sein.«
KAPITEL ZWEIUNDDREISSIG
V irginia Dare stand auf einem riesigen Marktplatz direkt vor einem unwahrscheinlich hässlichen, pyramidenartigen Bau. Er war von hohen Mauern umgeben und sie nahm an, dass es sich entweder um eine Kaserne oder ein Gefängnis handelte. Ein Gefängnis, entschied sie, angesichts der vielen schakalköpfigen Wachen, die alle den Blick auf den Bau gerichtet hatten. Auf den gewaltigen, schräg ansteigenden Mauern standen ebenfalls reihenweise Anpu und weitere dieser rotäugigen Kreaturen bewachten die massiven Steintore. Die Pyramide war oben flach und glich denen, die sie in Südamerika gesehen hatte. Eine steile, schmale Treppe führte zum Dach hinauf. Ihr fiel
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