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Die geheimnißvolle Insel

Die geheimnißvolle Insel

Titel: Die geheimnißvolle Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Flächen ausbreitet oder einen Felsenwall aufhäuft, sondern eine aus den schönsten Bäumen bestehende Grenze. Das steile Gestade lag so hoch, daß es auch die Springfluthen nicht erreichen konnten, und auf diesem üppigen Boden, der einer granitenen Unterlage auflag, schienen die prächtigsten Waldbäume ebenso fest gewurzelt zu stehen, wie im Innern der Insel.
    Die Colonisten befanden sich jetzt an einer kleinen, unbedeutenden Bucht, die kaum zwei bis drei Fischerbarken aufzunehmen im Stande gewesen wäre, und dem neu entdeckten Flusse nur als Durchlaßöffnung diente; sonderbarer Weise aber fielen dessen Wasser, statt wie gewöhnlich sanft in’s Meer zu verlaufen, etwa vierzig Fuß hoch steil hinab – eine genügende Erklärung dafür, daß die steigende Fluth sich weiter oben im Creek nicht fühlbar gemacht hatte.
    Wirklich konnten die Gezeiten des Pacifischen Oceans, selbst beim Maximum ihrer Elevation, nie das Niveau des Flusses erreichen, und Millionen Jahre mochten wohl noch verstreichen, bis das strömende Wasser jenes granitene Schleusenthor ausnagen und sich einen praktikabeln Ausweg schaffen konnte. Unter allgemeiner Zustimmung gab man dem Wasserlauf den Namen des »Cascaden-Flusses« (
Falls-river
).
    Nach Norden hin setzte sich der Saum des Waldes etwa zwei Meilen fort; dann wurden die Bäume seltener, und darüber hinaus sehr pittoreske Höhenzüge, in gerader Linie von Norden nach Süden verlaufend, sichtbar. Der ganze Küstenstrich zwischen dem Cascadenflusse und dem Schlangenvorgebirge bestand dagegen nur aus einem prächtigen Walde mit gerade aufstrebenden oder geneigt stehenden Bäumen, deren Wurzeln die langen, flachen Meereswellen badeten. Nach dieser Seite zu sollte die Untersuchung der Küste unternommen werden, da sie allein etwaigen Schiffbrüchigen einige Zuflucht bieten konnte, was bei der dürren und wilden anderen Seite offenbar nicht der Fall war.
    Das Wetter hielt sich schön und klar, und von einer hochliegenden Stelle aus, auf der Nab und Pencroff das Frühstück zurecht gemacht hatten, konnten die Blicke weit hinausschweifen. An der Linie des Horizontes vermochte man kein Segel zu entdecken, ebenso wenig ein Schiff oder Trümmer eines solchen an der Küste, soweit sie vor ihnen lag. Der Ingenieur glaubte aber dann erst darüber Gewißheit erlangen zu können, wenn die ganze Küste bis zur Spitze der Halbinsel genau durchforscht wäre.
    Das Frühstück wurde schnell beendigt, und um elf ein halb Uhr gab Cyrus Smith das Signal zum Aufbruche. Statt dem Kamme eines steilen Gestades oder einem sandigen Strande zu folgen, mußten sich die Colonisten jetzt immer unter dem Blätterdache der Bäume halten, um längs des Ufers hinzuziehen.
    Die Entfernung zwischen der Mündung des Cascadenflusses und dem Schlangenvorgebirge mochte gegen zwölf Meilen betragen. Auf einem gangbaren Strandwege hätten die Colonisten dieselbe binnen vier Stunden zurücklegen können, unter den gegebenen Verhältnissen aber brauchten sie wohl die doppelte Zeit, denn Bäume, Sträucher und Lianen hielten sie fortwährend auf, und die nöthigen Umwege verlängerten den Weg nicht wenig.
    Uebrigens deutete ganz und gar nichts auf einen vor kürzerer Zeit an dieser Küste stattgefundenen Schiffbruch hin. Freilich konnte das Meer, wie auch Gedeon Spilett bemerkte, alle Reste desselben wieder hinausgespült haben, und daraus, daß man jetzt nichts fand, war der Schluß noch nicht zu ziehen, daß überhaupt kein Schiff an diese Seite der Insel Lincoln verschlagen worden sei. Gewiß hatte diese Anschauung des Reporters ihre volle Berechtigung, und zudem bestätigte der Vorfall mit dem Schrotkorne ganz unzweifelhaft, daß vor höchstens drei Monaten ein Flintenschuß auf der Insel abgefeuert worden sein mußte.
    Um fünf Uhr lag die Schlangenhalbinsel noch immer zwei Meilen von der Stelle entfernt, welche die Colonisten erreicht hatten, und überzeugten sich diese, daß sie bei Fortsetzung ihres Weges bis zum Reptil-End’ an ihrer Lagerstätte am Ufer der Mercy vor Sonnenuntergang nicht wieder anlangen konnten. Sie mußten sich also entschließen, an dem Vorgebirge selbst zu übernachten. Auf der waldigen Küste fehlte es nicht an Wild und Geflügel, da Vögel jeder Art, wie Jacamars, Kurukus, Tragovane, Tetras, Loris, Papageien, Cacadus, Fasane, Tauben und hundert andere ihre Nester fast auf jedem Baume angebracht hatten und schaarenweise umherflatterten.
    Gegen sieben Uhr Abends langten die Ansiedler endlich von

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