Die geheimnißvolle Insel
die Kälte an, während der die Colonisten das Granithaus nicht verließen, außer wenn sie die Besorgung des Hühnerhofes dazu zwang. Die Wohnung war völlig durchduftet von den Wohlgerüchen, welche Nab’s und Spilett’s Hantierung verbreitete; das ganze Ergebniß der Jagd in den Sümpfen wurde indeß nicht eingemacht, und da sich das Wild bei der strengen Kälte recht gut erhielt, verzehrte man die wilden Enten u.s.w. frisch und erklärte sie für vorzüglicher, als alle anderen Wasservögel der Welt.
Diese ganze Woche über arbeitete Pencroff mit Hilfe Harbert’s, der die Nadel sehr geschickt regierte, mit solchem Eifer, daß die Segel zum Fahrzeuge fertig gestellt wurden, und an Hanfseilen fehlte es, Dank dem großen Vorrathe solcher aus dem Netzwerke des Ballons, ja auch nicht. Die Taue und Schnuren des Netzes bestanden alle aus vorzüglichem Gespinnste, das sich der Seemann weislich zu Nutze machte. Die Segel wurden mit starkem Saum versehen, und doch blieb noch genug übrig, Hißtaue, Strickleitern und Schoten daraus anzufertigen. Betreffs der Windevorrichtungen fabricirte Cyrus Smith auf den Rath Pencroff’s und mittels der Drehbank, die er schon früher in Stand gesetzt hatte, die zu den Flaschenzügen nöthigen Holzrollen. So kam es, daß die gesammte Takelage schon eher fertig war, als das Schiff selbst.
Des Freundes Krankenbesuch. (S. 382.)
Pencroff stellte sogar eine blau-weiß-rothe Flagge her, zu der die Färbestoffe verschiedene Pflanzen der Insel lieferten. Nur fügte er zu den siebenunddreißig Sternen, welche die siebenunddreißig Staaten der Union vorstellen, noch einen achtunddreißigsten, den für den »Staat Lincoln«, denn er betrachtete seine Insel schon als vollständig vereinigt mit der großen Republik.
»Und, sagte er, wenn sie es thatsächlich noch nicht ist, so ist sie es doch von Herzen!«
Inzwischen wurde die Flagge am Mittelfenster des Granithauses aufgezogen und die Colonisten begrüßten sie mit einem dreifachen Hurrah.
Jetzt näherte man sich auch dem Ende der kalten Jahreszeit, und schon gewann es das Ansehen, als ob dieser zweite Winter ohne ernsteren Unfall vorübergehen sollte, als das Plateau der Freien Umschau in der Nacht des 11. August fast von vollständiger Zerstörung bedroht wurde.
Nach einem wohlangewendeten Tage lagen die Colonisten in tiefstem Schlafe, als sie gegen vier Uhr Morgens durch Top’s wüthendes Bellen geweckt wurden.
Dieses Mal bellte er aber nicht an der Mündung des Schachtes, sondern an der Schwelle der Thür, und drängte sich daran, als wollte er mit Gewalt hinaus. Jup seinerseits stieß wiederholt einen kurzen scharfen Schrei aus.
»Ruhe, Top!« rief Nab, der zuerst aufwachte.
Der Hund bellte nur mit verdoppelter Wuth weiter.
»Was giebt es denn?« fragte Cyrus Smith.
Nothdürftig angekleidet eilten Alle nach den Fenstern des Zimmers und öffneten diese.
Unter ihren Augen dehnte sich die Schneefläche aus, welche in der tiefdunkeln Nacht kaum weiß erschien. Die Colonisten sahen also nichts, aber sie vernahmen ein eigenthümliches Gebell in der Finsterniß. Offenbar streiften auf dem Strande eine Anzahl Thiere umher, die man jetzt nicht erkennen konnte.
»Was ist das? rief Pencroff.
– Das sind Wölfe, Jaguars oder Affen! antwortete Nab.
– Teufel, die können aber nach dem Plateau hinauskommen! sagte der Reporter.
– Und unser Hühnerhof, jammerte Harbert, unsere Anpflanzungen …
– Wie mögen sie hier herein gekommen sein? fragte Pencroff.
– Ueber das Strandbrückchen, erwiderte der Ingenieur, das Einer von uns zu schließen vergessen haben wird.
– Wirklich, gestand Spilett, ich erinnere mich es offen gelassen zu haben …
– Da haben Sie uns einen schönen Streich gespielt, Herr Spilett! bemerkte der Seemann.
– Was geschehen ist, ist geschehen, fiel Cyrus Smith ein. Ueberlegen wir lieber, was jetzt dagegen zu thun ist!«
Das waren die Fragen und Antworten, welche zwischen Cyrus Smith und seinen Genossen in aller Eile gewechselt wurden. Bestimmt hatte die Brücke als Uebergang gedient, war der Strand von einer Heerde Thiere überschwemmt, und konnten diese, mochten es nun sein, welche es wollten, längs des linken Mercy-Ufers nach dem Plateau hinauf gelangen. Man mußte ihnen also schnell zuvorkommen und sie nöthigenfalls bekämpfen.
»Doch was sind das für Thiere?« fragte man sich zum zweiten Male, als das Bellen lauter hörbar wurde.
Da erinnerte sich Harbert, dasselbe schon bei dem ersten
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