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Die geheimnißvolle Insel

Die geheimnißvolle Insel

Titel: Die geheimnißvolle Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Colonisten blieben ein wenig zurück, aber immer bereit, ihn aufzuhalten, wenn er eine Bewegung zu fliehen verriethe.
    In der That war das arme Wesen nahe daran, sich in den Creek zu stürzen, der ihn vom Walde trennte, und die Sehnen seiner Füße spannten sich schon wie eine Feder …. Doch er kehrte plötzlich um, sank zusammen und eine große Thräne quoll langsam aus seinem Auge!
     

    In balsamischer Waldluft. (S. 424.)
     
    »O, rief Cyrus Smith, seit Du weinen kannst, bist Du wieder Mensch geworden!«
Sechzehntes Capitel.
Ein zu ergründendes Geheimniß. – Des Unbekannten erste Worte. – Zwölf Jahre auf dem Eilande. – Unwillkürliche Geständnisse. – Verschwunden! – Cyrus Smith’s Vertrauen. – Errichtung einer Mühle. – Das erste Brod. – Aufopferung. – Die ehrliche Hand.
    Ja, der Unglückliche hatte geweint! Gewiß war irgend welche Erinnerung durch seinen Geist gezogen und er, wie Cyrus Smith sich ausdrückte, durch die Thränen wieder zum Menschen geworden.
    Die Colonisten überließen ihn auf dem Plateau eine Zeit lang sich selbst und entfernten sich sogar etwas von ihm, um ihn fühlen zu lassen, daß er frei sei; er dachte jedoch offenbar gar nicht daran, sich diese Freiheit zu Nutze zu machen, und Cyrus Smith beschloß also, ihn nach dem Granithause zurückzuführen.
    Zwei Tage nach dieser Scene schien sich der Unbekannte der allgemeinen Lebensweise etwas mehr anschließen zu wollen. Es unterlag keinem ferneren Zweifel, daß er hörte und die Sprache verstand, auch daß er mit auffallender Hartnäckigkeit es vermied, mit den Colonisten zu reden, denn eines Abends, als Pencroff an seiner Kammer lauschte, hörte er seinen Lippen die Worte entschlüpfen:
    »Nein! Hier nicht! Niemals!«
    Der Seemann vermeldete diese Worte seinen Genossen.
    »Darunter steckt ein schmerzliches Geheimniß!« sagte Cyrus Smith.
    Der Unbekannte hatte angefangen, sich der Arbeitsgeräthe zu bedienen, und suchte sich im Gemüsegarten zu beschäftigen. Wenn er, was häufig vorkam, seine Arbeit unterbrach, blieb er wie ganz in sich selbst zurückgezogen stehen; auf Empfehlung des Ingenieurs aber zollte man seiner Sucht nach Einsamkeit die nöthige Rücksicht.
    Denn wenn einer der Colonisten sich ihm näherte, wich er scheu zurück, und tiefe Seufzer schwellten seine Brust, als ob sie übervoll wäre.
    War es das böse Gewissen, das ihn quälte? Man konnte es wohl glauben, und Gedeon Spilett veranlaßte das eines Tages zu der Bemerkung:
    »Wenn er nicht spricht, so denke ich, geschieht es deshalb, weil er zu schwere Geständnisse zu machen hätte!«
    Man mußte sich eben in Geduld fassen und die weitere Entwickelung abwarten.
    Einige Tage später, am 3. December, stand der Unbekannte, der auf dem Plateau arbeitete, wiederum plötzlich still und hatte seinen Spaten zur Erde fallen lassen; Cyrus Smith, der ihn aus einiger Entfernung beobachtete, sah nochmals Thränen seinen Augen entquellen. Ein unwiderstehliches Gefühl von Mitleid trieb ihn zu Jenem hin, und seine Hand leicht auf dessen Arm legend, sagte er:
    »Mein Freund!«
    Der Blick des Unbekannten schien ihm auszuweichen, und als Cyrus Smith gar seine Hand fassen wollte, wich er scheu zurück.
    »Mein Freund, wiederholte Cyrus Smith mit fester Stimme, sehen Sie mich an, ich wünsche es!«
    Der Unbekannte hob die Augen auf und schien dem Einflusse des Ingenieurs zu erliegen, wie etwa der Magnetisirte dem des Magnetiseurs. Er wollte fliehen. Dann ging in seinem Gesicht eine merkbare Veränderung vor. Seine Augen sprühten Blitze. Auf seinen Lippen drängten sich die Worte; er konnte sie nicht zurückhalten. Endlich kreuzte er die Arme und begann mit dumpfer Stimme:
    »Wer sind Sie? wendete er sich an den Ingenieur.
    – Schiffbrüchige so wie Sie, antwortete der Ingenieur in tiefer Erregung. Wir haben Sie hierher gebracht unter Ihresgleichen.
    – Unter Meinesgleichen! …. Ich habe Niemand Meinesgleichen!
    – Sie befinden sich unter Freunden ….
    – Freunde? …. Ich … unter Freunden! rief der Unbekannte und barg den Kopf in den Händen. Nein, niemals … lassen Sie mich! Lassen Sie mich!«
    Dann wendete er sich nach der Seite des Plateaus, die nach dem Meere hinaus lag, und verweilte lange Zeit bewegungslos.
    Cyrus Smith hatte seine Genossen wieder aufgesucht und berichtete ihnen, was vorgegangen war.
    »Ja, durch das Leben dieses Mannes schlingt sich ein Geheimniß, sagte Gedeon Spilett, und mir scheint, er ist nur auf dem Wege der Gewissensbisse zur

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