Die geheimnißvolle Insel
die Stelle, an welcher das Wasser des Sees abfloß, noch immer nicht auffinden können, obwohl bei dem Zuflusse aus dem Creek an dem Vorhandensein einer solchen gar nicht gezweifelt werden konnte. Da gewahrte Cyrus Smith zu seinem Erstaunen eine auffallende Strömung, welche nahe der Stelle, an der sie sich befanden, bemerkbar war. Beim Hineinwerfen kleiner Holzstückchen sah er, daß diese nach Süden hin fortgezogen wurden. Er verfolgte die Strömung längs des steilen Ufers und kam so nach der Südspitze des Grants-Sees.
Dort zeigte sich eine unverkennbare Depression des Wassers, so als wenn es mit Gewalt durch einen Spalt am Boden gerissen würde.
Cyrus Smith drückte das Ohr in möglichster Nähe an die Erde und bemerkte ganz deutlich das Geräusch eines unterirdischen Wasserfalls.
»Hier ist es, sagte er sich erhebend, hier strömen die Gewässer durch eine Höhlung des Granits nach dem Meere ab, eine Höhlung welche für uns vielleicht von großem Nutzen sein könnte. Doch, das Weitere wollen wir bald genug erfahren!«
Der Ingenieur schnitt einen langen Zweig ab, befreite ihn von den Blättern und tauchte denselben an dem von beiden Ufern gebildeten Winkel unter. Da fand er denn, kaum einen Fuß unter der Wasserfläche, ein geräumiges Loch. Eben dieses stellte die Mündung des so lange vergeblich gesuchten Abflusses vor und erwies sich die Kraft der Strömung so stark, daß der Zweig dem Ingenieur aus den Händen gerissen und mit hineingezogen wurde.
»Nun ist jeder Zweifel gehoben, wiederholte Cyrus Smith, hier unten befindet sich der Abfluß, und den will ich offen legen.
– Auf welche Weise? fragte Gedeon Spilett.
– Durch Erniedrigung des Seeniveaus um etwa drei Fuß.
– Und wie wollen Sie das bewerkstelligen?
– Dadurch, daß ich ihm einen geräumigeren und niedrigeren Ausweg verschaffe, als diesen hier.
– An welcher Stelle, Cyrus?
– Da, wo das Seeufer der Küste am nächsten liegt.
– Das Ufer besteht indessen aus Granit! bemerkte der Reporter.
– Ja wohl, entgegnete Cyrus Smith, das werden wir sprengen, dann wird der Wasserstand allein sinken …
– Und es wird ein auf den Strand herabstürzender Wasserfall entstehen?
– Ein Wasserfall, den wir bestens ausnützen werden! bestätigte Cyrus. Kommen Sie, kommen Sie!«
Cyrus Smith zog seinen Begleiter mit sich fort, dessen Vertrauen zu dem Ingenieur so groß war, daß er an dem Erfolg des Unternehmens gar nicht zweifelte. Und doch, wie sollte diese Granitwand, ohne Hilfe des Pulvers oder auch nur geeigneter Werkzeuge, um das feste Gestein kräftig anzugreifen, geöffnet werden können? Ging die Arbeit, welche der Ingenieur vorhatte, doch nicht etwa über seine Kräfte?
Als Cyrus Smith und der Reporter nach den Kaminen zurückkehrten, fanden sie Harbert und Pencroff mit der Entladung ihrer Holzflöße beschäftigt.
»Die Holzfäller sind fertig, Mr. Cyrus, meldete sich lächelnd der Seemann, wenn Sie etwa Maurer brauchen.
– Maurer nicht, entgegnete der Ingenieur, aber Chemiker.
– Ja wohl, fügte der Reporter hinzu, wir wollen die Insel in die Luft sprengen.
– Die Insel sprengen! rief Pencroff.
– Wenigstens zum Theil, verbesserte Gedeon Spilett.
– Hört mich an, meine Freunde«, sagte der Ingenieur.
Er theilte nun Allen das Resultat seiner Beobachtungen mit. Seiner Ansicht nach mußte in der Granitmasse unter dem Plateau der Freien Umschau eine mehr oder weniger beträchtliche Aushöhlung vorhanden sein, bis zu welcher er durchzudringen wünschte. Hierzu erschien es zunächst nothwendig, die Oeffnung, durch welche jetzt das Wasser stürzte, frei zu legen und das Niveau des Sees entsprechend zu erniedrigen. Es bedurfte demnach der Herstellung einer explosiven Substanz, durch welche an einer anderen Stelle des Ufers ein Durchlaß geschaffen werden konnte. Diese Aufgabe wollte Cyrus Smith mit Hilfe der verschiedenen Mineralien lösen, welche ihm die freigebige Natur zur Verfügung stellte
Den Enthusiasmus, mit welchem diese Mittheilung vorzüglich von Pencroff aufgenommen wurde, brauchen wir hier wohl nicht zu beschreiben. Solche heroische Mittel anzuwenden, den Granit zerreißen, einen Wasserfall herstellen, das war dem Seemanne Wasser auf seine Mühle. Er erbot sich, ebenso gern Chemiker zu werden, als Maurer oder Schuhmacher, da der Ingenieur jetzt Chemiker brauchte. Er wollte Alles werden, was Jener wünschte, nöthigenfalls. »Professor für Tanz-und Anstandsunterricht«, versicherte er Nab, wenn das jemals
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