Die geheimnißvolle Insel
glücklicherweise und fanden die Fallen gänzlich unberührt, obgleich zahlreiche Fährten verschiedener Thiere in ihrer Umgebung zu sehen waren, unter anderen die von ganz deutlich abgedrückten Tatzen. Harbert erklärte sofort, daß hier ein zu dem Geschlechte der Katzen gehöriges Raubthier vorüber gekommen sein müsse, was die Ansicht des Ingenieurs über das Vorhandensein gefährlicher Thiere auf der Insel Lincoln nochmals bestätigte. Gewiß bewohnten jene gewöhnlich die dichten Wälder des fernen Westens, und wahrscheinlich hatte nur der Hunger sie aus diesen weg und hierher bis zum Plateau der Freien Umschau getrieben. Witterten sie vielleicht die Bewohner des Granithauses?
»Nun, und zu welcher Katzenart hätten denn diese gehört? fragte Pencroff.
– Das sind Tiger gewesen, antwortete Harbert.
– Ich war immer der Meinung, diese fänden sich nur in warmen Ländern?
– In der Neuen Welt, erwiderte der junge Mann, beobachtet man sie von Mexiko bis zu den Pampas von Buenos-Ayres. Da nun die Insel Lincoln etwa unter derselben Breite liegt, wie die La Plata-Staaten, so ist es nicht besonders zu verwundern, wenn sich auch hier einige Tiger vorfinden.
– Schön, so werden wir auf unserer Huth sein«, erwiderte Pencroff.
Am Ende verschwand der Schnee unter dem Einflusse der sich wieder hebenden Temperatur. Es fiel aufs Neue Regen, dessen auflösender Kraft die Schneedecke nicht lange widerstand. Trotz der schlechten Witterung erneuerten die Colonisten ihre Vorräthe nach allen Seiten, wie die an Pinienzapfen, Drachenbaumwurzeln, Knollen, Ahornsaft aus dem Pflanzenreiche, an Kaninchen, Agutis und Kängurus aus dem Thierreiche. Hierzu wurden einige Ausflüge in den Wald nöthig, wo man nun selbst sah, daß der letzte heftige Orkan eine ziemlich große Anzahl Bäume umgeworfen hatte. Der Seemann und Nab begaben sich sogar bis nach dem Kohlenlager, um einige Tonnen Brennmaterial anzufahren. Im Vorüberkommen bemerkten sie, daß der Töpferofen jedenfalls durch den Sturm sehr gelitten hatte, und von dem Schornstein gut sechs Fuß herunter geweht waren.
Zu derselben Zeit wurden auch die Holzvorräthe des Granithauses erneuert, und benutzte man die wieder frei gewordene Strömung der Mercy, um mehrere Flöße nach der Mündung zu tragen, da man noch nicht darüber Gewißheit hatte, ob die Periode der strengen Kälte vorüber sei.
Bei dieser Gelegenheit besuchte man auch die Kamine, und konnte sich nur herzlich Glück wünschen, dieselben während des Wintersturmes nicht bewohnt zu haben, denn überall hatte das Meer seine deutlichen Spuren zurückgelassen. Die einzelnen Abtheilungen zeigten sich nämlich halb mit Sand angefüllt, die Steine mit Varec bedeckt. Während Nab, Harbert und Pencroff jagten oder sich mit Herbeischaffung des Brennmaterials beschäftigten, reinigten Cyrus Smith und Gedeon Spilett die Kamine einigermaßen, und fanden in Folge der überall stattgefundenen Anhäufungen von Sand die Schmiede und die Oefen ziemlich unversehrt.
Es erwies sich bald als ganz zweckmäßig, daß man für das verbrauchte Material auf’s Neue Holz herzugeschafft hatte, denn wirklich sollte noch einmal strengere Kälte eintreten. Bekanntlich zeichnet sich in der nördlichen Hemisphäre der Februar nicht selten durch die stärksten Temperatur-Erniedrigungen aus. Auf der südlichen Halbkugel ist das nun ebenso der Fall, nur daß hier der August jenem klimatischen Gesetze Rechnung trägt.
Am 25. August drehte sich der Wind nach mehrfacher Abwechselung von Schnee und Regen nach Südosten und trat sofort eine lebhafte Kälte ein. Nach der Abschätzung des Ingenieurs hätte ein Thermometer wenigstens zweiundzwanzig bis dreiundzwanzig Grad Celsius gezeigt, und diese heftige Kälte wurde durch einen mehrere Tage anhaltenden scharfen Wind noch empfindlicher. Von Neuem sahen sich die Colonisten auf ihr Granithaus beschränkt, und da man jetzt auch die Läden so weit schließen mußte, daß nur ein zur nothwendigen Erneuerung hinreichender Luftwechsel stattfand, so verbrauchte man in dieser Zeit ungemein viel Kerzen. Um letztere zu schonen, begnügten sich die Ansiedler nicht selten mit den Flammen des Herdes, den man reichlich mit Holz versorgte. Mehrmals wagte sich der Eine oder der Andere auf den Strand und zwischen die Eisschollen hinab, welche jede Fluth an demselben anhäufte, doch immer kehrten sie sehr bald zurück und konnten sich beim Hinaufsteigen nach der Wohnung nur mit Mühe und Schmerzen an den Stufen der
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