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Die geheimnisvolle Sanduhr (German Edition)

Die geheimnisvolle Sanduhr (German Edition)

Titel: Die geheimnisvolle Sanduhr (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Tenner
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Brief war umfangreicher als die anderen, eindringlicher formuliert und zeigte einige der schlimmsten Konsequenzen auf.
    Diesen Brief richtete ich direkt an die Bundeskanzlerin. Mir war klar, dass jeden Tag Hunderte von Briefen im Bundeskanzleramt eintrafen und nie unter die Augen der Kanzlerin gelangten. Zum Glück arbeitete eine alte Studienfreundin meiner Tochter im Sekretariat der Bundeskanzlerin und hielt große Stücke auf ihre Chefin. Sie schwärmte von der von ihr ausgehenden Wärme und Menschlichkeit. Die wollte ich nicht in Zweifel ziehen, ich hoffte jetzt aber mehr auf ihr Frühwarnsystem. Ich bat die Freundin meiner Tochter, meinen Brief bei erstbester Gelegenheit persönlich zu übergeben. Es sei sehr wichtig. Sie versprach mir, gleich nach der Rückkehr der Kanzlerin aus dem Ausland, ihr das Schreiben auszuhändigen. Einige Wochen später erhielt ich einen sehr netten Brief, persönlich von der Kanzlerin unterzeichnet, in dem mir für meine Sorge um die Zukunft des Landes gedankt wurde und für meine kompetenten Empfehlungen. Man sei sich aber seit über einem Jahr der schwierigen Situation bewusst, beobachte die Entwicklung sehr genau und habe alle notwendigen Maßnahmen getroffen, um eine mögliche Krisensituation der deutschen Banken zu verhindern.
    Wie beruhigend zu wissen. Ich beschloss, meine Bemühungen auf diesem Gebiet einzustellen. Als ich später dieses Jahr noch einmal durchlebte, verzichtete ich auf alle Korrespondenz und Diskussionen. Weniger wegen der Vergeblichkeit meiner Aktivitäten als vielmehr aus purer Angst und Unsicherheit. Und die hing mit meiner Entführung zusammen. Zumindest fällt mir kein besseres Wort für den Vorgang ein, der sich Mitte Mai ereignete und mich bewegte, alles, auch die sogenannte Finanzkrise, in einem völlig neuen Licht zu sehen.

4. Kapitel
    Ich war auf dem Weg zur nahegelegenen Weinhandlung. Meine Frau und ich erwarteten am Abend Freunde zu Besuch und ich wollte noch einige Flaschen Weiß- und Rotwein kaufen. Bevor ich die Weinhandlung betreten konnte, hörte ich quietschende Autoreifen und drehte mich um. Ein schwarzer 500-er Mercedes hielt direkt am Straßenrand. Zwei Männer stiegen aus und kamen auf mich zu. Sie sahen aus wie Klone zweier Bodyguards, die ich irgendwann einmal in einem amerikanischen Thriller gesehen hatte. Beide hätten sicher auch als Wrestler ihr Geld verdienen können. Die Augen waren hinter großen Sonnenbrillen verborgen, die Anzüge in einem tiefschwarz gehalten. „Wir bitten Sie, mitzukommen!“
    „Wer sind Sie und wohin soll ich mitkommen?“, fragte ich mit bestimmt nicht sehr sicher klingender Stimme.
    „Sie werden alles Notwendige erfahren. Bitte steigen Sie ein.“ Ich überlegte, ob ich einfach laut schreien sollte, es war mitten am Tage und mehrere Passanten befanden sich auf der anderen Straßenseite und schauten herüber. Warum auch immer, vielleicht war es Neugierde, vielleicht das Surreale der Situation, vielleicht mein seit fünf Monaten ohnehin nicht mehr als normal einzustufendes Leben, ich verzichtete auf jeden Widerstand, sei er auch nur verbaler Natur, und stieg in den Mercedes. Ein dritter Bodyguardtyp saß am Steuer. Einer der beiden Männer, die mich angesprochen hatte, nahm neben mir auf dem Rücksitz Platz. Der andere stieg vorne ein. Wir fuhren quer durch die Stadt, passierten Marienfelde, kamen über Lankwitz bis zum Ostpreußendamm, dort bog der Wagen in eine Nebenstraße, ich blickte aufmerksam auf die Straßenschilder, in dem Augenblick als wir erneut abbogen, sprach mich der neben mir sitzende Bodyguard an, vielleicht um mich von der Umgebung abzulenken. Bis dahin war kein Wort im Auto gefallen. „Wir sind gleich da.“
    „Wann werde ich wieder zurück können? Meine Frau wird sich Sorgen machen und wir erwarten heute noch Gäste.“
    „In wenigen Stunden bringen wir sie zurück. Glaube ich wenigstens. Man wird es Ihnen mitteilen.“
    Wir hielten vor einer gelb gestrichenen zweistöckigen Stadtvilla mit reichen Stuckverzierungen an den Fensterumrahmungen. Die Eingangspforte war unscheinbar, neben dem Haus befand sich eine schmale Auffahrt, die in eine angebaute Garage führte. Zwischen dem vorderen Zaun und dem Gebäude lagen nur wenige Meter Garten. Der Grünstreifen wirkte etwas verwahrlost, es hatte sich in diesem Jahr bestimmt noch niemand die Mühe gemacht, Unkraut zu jäten. Der Fahrer betätigte eine Fernbedienung und die Einfahrt öffnete sich automatisch. Er fuhr bis zur Garage, hielt

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