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Die geheimnisvolle Sanduhr (German Edition)

Die geheimnisvolle Sanduhr (German Edition)

Titel: Die geheimnisvolle Sanduhr (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Tenner
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empfangen. Er begrüßte den Gast freundlich und meinte: „Wir sind froh, dass wir der Wissenschaft und der Belustigung des Volkes dienen können. Es gehört zur Kunst des Staatsmannes, ein Ding zu tun und zweierlei zu erreichen.“
    Der Erfinder antwortete stolz: „Ich diene nur der Wissenschaft!“ Der Doge lächelte nur: „Lassen Sie sich diesen Aberglauben nicht rauben. Er ist ein Stein in unserem Spiel.“
    An diese Passage wollte ich anknüpfen, wenn es um die Einbindung wissenschaftlicher Ergebnisse in politische Ziele und um das Selbstverständnis vieler Wissenschaftlicher, auch denen der jüngeren Vergangenheit ging. Der Vortrag kam gut an und löste viele Diskussionen aus. Ich hätte mir den Film nicht zum wiederholten Male ansehen müssen und den Vortrag kannte ich trotz der verflossenen fast vierundzwanzig Jahre noch fast auswendig. Ich plante diesmal, die Diskussion stärker auf das Verhältnis von Wissenschaft und Politik in den sozialistischen Ländern zu lenken. Den Film sah ich mir aber doch erneut an, er war einfach zu gut, trotz seines scheinbar komödiantischen Charakters hatte er einen melancholischen Unterton und eine philosophische Botschaft. Diesmal fiel mir eine Stelle auf, die mich auf eigenartige Weise berührte. Münchhausen besuchte den zwielichtigen Grafen Alessandro Cagliostro, einen Alchemisten, um ihn vor den Häschern zu warnen, die ihn verhaften wollten. Als Dank für diese Warnung schenkte Cagliostro Münchhausen einen Ring, der die magische Kraft besaß, seinen Träger für eine Stunde unsichtbar zu machen. Zum Zweiten fragte er ihn, was er sich selber wünschen würde, auch wenn der Wunsch unerfüllbar schiene. Münchhausen überlegte kurz und meinte: „Die ewige Jugend!“ Der Wunsch ging in Erfüllung, Münchhausen alterte nicht mehr, er bliebt äußerlich durch die Jahrhunderte derselbe, bis er es leid wurde, immer wieder die Menschen, die er liebte, zu verlieren und sich immer einsamer in der sich veränderten Gesellschaft fühlte. Er gab das Geschenk freiwillig zurück und wurde wieder zum Sterblichen. Es lag auf der Hand, warum mich die Geschichte so berührte, ein Zusammenhang mit meinem Schicksal war unübersehbar. Und dies auch in einem sehr direkten Sinne. Ich glaubte meinen Augen nicht zu trauen, als ich in der Szene, als Münchhausen im Zimmer des Grafen weilte, auf einem Sims eine Sanduhr stehen sah, sie ähnelte sehr derjenigen, die ich 1990 in Paris erworben hatte und die mein weiteres Geschick bestimmt hatte. Natürlich war mir bewusst, dass es sich nur um eine Requisite eines Films handelte, aber die Ähnlichkeit war doch verblüffend und mir wurde wieder das Absurde meiner Situation bewusst, die ich an manchen Tagen fast völlig verdrängt hatte. Ich erinnerte mich an den Text und die Zahlen meiner Sanduhr. Sollte A.C. für Alessandro Cagliostro stehen? Der Mann hatte wirklich gelebt, er soll ein Scharlatan und Betrüger gewesen sein. Als ich in einem Lexikon nachschlug, stieß ich auch auf sein Todesdatum: 1795. Sollte dieser mysteriöse Mann im Jahr seines Todes meine Sanduhr gebaut haben, besaß er vielleicht doch magische Kräfte? Vor meiner Rückkehr in die Vergangenheit hätte ich über diese Hypothese nur gelacht und sie ins Reich der Fantasie und der Märchen verbannt. Aber mit reiner Logik war der Wahrheit nicht auf die Spur zu kommen. Ich fühlte mich in den kommenden Tagen einfach hilflos, fast depressiv, in meinem Schicksal allein gelassen. Ich überlegte, ob ich Monique von meiner Sanduhr erzählen sollte. Wenn ich an ihre Reaktion dachte, als ich das Jahr 2008 noch einmal durchlebte und ihr von dem mysteriösen Geschehen berichtet hatte, kamen mir ernste Zweifel. Dies würde sicher unsere Beziehung belasten und mich letztlich nicht weiterbringen. Ich kannte nur einen, dem ich mich anvertrauen konnte, ohne am nächsten Tag die Abholung durch die Pflegekräfte der psychiatrischen Klinik befürchten zu müssen: mein Freund Tommy. Auch wenn er mir nicht glauben würde, zumindest würde er niemanden Bericht über meine geistige Verfassung erstatten. Dass ich ihn in mein Schicksal mehr oder weniger mit hineinziehen würde, kam mir in diesem Augenblick nicht in den Sinn.

17. Kapitel
    Wo du auch bist - es sind stets deine Freunde, die deine Welt ausmachen. Dieser Spruch von William James kam mir in den Sinn, als ich Tommy meine Geschichte erzählte. James bezog sich auf die lokale Dimension unseres Lebens, aber seine Weisheit galt auch, wenn man in

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