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Die geheimnisvolle Sanduhr (German Edition)

Die geheimnisvolle Sanduhr (German Edition)

Titel: Die geheimnisvolle Sanduhr (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Tenner
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Antwort auf einen Angriff der Nato, nicht aber einen sogenannten Präventivkrieg durch die sozialistischen Staaten oder gar eine völkerrechtswidrige Besetzung Westberlins. „Über die militärischen Aspekte einer Besetzung feindlichen Territoriums braucht ihr euch keine Gedanken zu machen. Wir brauchen etwas anderes. Euer Wissen über Bewusstseinsprozesse. Wir müssen eine Strategie und davon ausgehend konkrete taktische Maßnahmen erarbeiten, wie das Bewusstsein der Bevölkerung in den besetzten Gebieten in unserem Sinne beeinflusst werden kann. Dazu können die Medien bis hin zu Flugblättern genutzt werden. Auch die Frage, welche konkreten Maßnahmen sich auf welche Weise auf die Psyche und das Bewusstsein der westlichen Bürger auswirken könnten, muss gründlich erörtert und inhaltlich beantwortet werden. Es ist vorgesehen, dass wir uns alle zwei Monate in diesem Rahmen treffen werden. In der Zwischenzeit solltet ihr euch Gedanken über euren persönlichen Beitrag zum Konzept machen, natürlich aus Sicht eures speziellen Fachgebietes.“ Der Bereichsleiter meinte: „Vielleicht wäre es nützlich, wenn jeder sich und sein Forschungsgebiet kurz vorstellen würde. Es gibt bestimmt auch die Möglichkeit, dass einige direkt zusammenarbeiten und bis zum nächsten Treffen gemeinsame Vorschläge oder Ansätze erarbeiten.“
    Ich war für einige Minuten sprachlos. Ich konnte nicht glauben, dass es keinerlei Bedenken bezüglich des geplanten Projektes gab. Immerhin handelte sich um die Vorbereitung dessen, was man psychologische Kriegsführung nennt. Zum Glück kam ich als einer der Letzten zu Wort, hatte mich innerlich gefangen und mir meinen Beitrag genau überlegt. Ich nannte Namen und Forschungsgebiet. Dann fragte ich fast nebenbei. „Mich würde noch interessieren, wie die vom Ministerium formulierte Strategie mit der marxistischen Theorie von gerechten und ungerechten Kriegen in Einklang steht. Wenn wir uns für dieses Projekt engagieren sollen, sollte doch wohl jeder mit voller Überzeugung hinter den Diskussionen und Konzepten stehen.“ Der Oberst blickte nicht einmal böse oder zornig, sondern nur erstaunt. „Genosse, ich bin doch nicht hier, um Politunterricht zu erteilen. Jeder Krieg ist gerecht, der zur Befreiung der Menschheit vom kapitalistischen Joch führt. Das hängt nicht von einer einzelnen Militärdoktrin ab oder davon, wer den ersten Schuss abgibt. In diesem Kreis habe ich das ABC des Marxismus-Leninismus vorausgesetzt. Aber“, fuhr er nach einer künstlichen Pause fort, „wenn Sie (er ging unvermittelt vom Du zum förmlichen Sie über) Bedenken irgendwelcher Art haben sollten, können Sie natürlich, bei absoluter Schweigepflicht, von einer Mitarbeit Abstand nehmen.“
    Damit war das Thema für ihn erledigt und ich auch. Zum zweiten Treffen bekam ich keine Einladung mehr, worüber ich alles andere als böse war. Am nächsten Mittag hob ich meine Schweigepflicht auf und erzählte Tommy von dem Treffen. „Ich kann es nicht glauben. Wir erzählen den Studenten viel von der Erhaltung des Friedens, der Vermeidung eines atomaren Krieges, der Notwendigkeit der friedlichen Koexistenz und der moralischen Überlegenheit des sozialistischen Systems und diese Halunken planen einen Angriff auf Westberlin oder den Westen als Ganzes. Ich fühle mich wie im falschen Film.“ Er zog seine Konsequenzen und gehörte später, im Frühherbst 1989, zu den Initiatoren des „Neuen Forums“, der ersten unabhängigen Bürgerpartei der DDR. Ich hatte mir diesmal vorgenommen, bei meiner erneuten Teilnahme meinen Mund zu halten und auf jede Kritik zu verzichten, um mehr um den Fortschritt und die Hintergründe dieses Projektes zu erfahren. Natürlich war ich enttäuscht, als ich nicht einmal eine Einladung zu dem ersten Treffen erhielt. Vielleicht war mein Abstimmungsverhalten in der Butterbeißeraffäre schuld, offensichtlich wollte man keine Querdenker oder gar Quertreiber.
    Ich erzählte Tommy dennoch von dem Projekt. „Woher weißt du denn von dem Treffen und Vorhaben, wenn du gar nicht eingeladen warst?“, fragte er skeptisch.
    „Ich habe es von einem Assistenten der Sektion Psychologie erfahren, der an diesem Projekt mitwirken soll. Natürlich unter dem Mantel der absoluten Verschwiegenheit.“ Dann folgten von Tommy seine schon damals geäußerten Worte. Ich pflichtete ihm bei: „Ich fühle mich nicht nur wie im falschen Film, sondern wie im falschen Leben.“ Ein Jahr später sollte er von mir die

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