Die Gehilfen des Terrors
des Zuges und leitet sie — über den gekrümmten Teil
— hinüber auf ein anderes Gleis. Dort, wo sich Schiene und Weiche berühren,
wird das Gleis für alles, was dazwischen gerät, zur unausweichlichen Falle.
Die Weiche hatte sich in dem
Moment bewegt, als Gabys Fuß dort auftrat, hatte sich geschlossen wie eine
Klammer.
Tim packte Gabys Unterschenkel
und zog.
Der Fuß rührte sich nicht. Die
Lok pfiff. Tim spürte, wie ihm kalter Schweiß ausbrach. Hatte der Lok-Führer
sie gesehen? Da würde auch keine Notbremsung helfen. Tim konnte den Zug bereits
riechen.
Gaby wimmerte leise. „Tim,
ich...“
Sie trug noch immer ihre blauen
Regenstiefel. Nur Gummi bis zur halben Wade. Aber die Sohle war dick und
stabil. Und vor allem die war eingeklemmt zwischen den Eisenteilen.
Mit aller Kraft zerrte Tim
Gabys Fuß aus dem Stiefel. Auch die Wollsocke blieb drin. Im selben Bruchteil
der Sekunde packte er seine Freundin und warf sich mit ihr rücklings von den
Gleisen, landete hart auf dem Ende einer Betonschwelle, hielt Gaby in den Armen
und schob sich noch ein Stück mit ihr weg.
Die Lok pfiff jetzt wie irre.
Zwei Sekunden später raste der Zug an ihnen vorbei, keinen Meter von ihren
Füßen entfernt, die sie angezogen hatten — die Knie an der Brust.
Ein Waggon nach dem andern.
Erleuchtete Fenster. Die Räder ratterten. Die Lok pfiff nicht mehr. Tim sah ihr
nach und bemerkte erst jetzt: Keine Lok war’s. Sondern ein Dieseltriebzug.
Streckte sich aus dem seitlichen Fenster ein Kopf? Ja, wir haben es geschafft,
dachte Tim. Aber...
„...ich glaube, mir wird
schlecht, Pfote. Mein Frühstück kommt hoch.“
Gaby hatte sich in seinen Armen
gedreht, nahm jetzt sein Gesicht in beide Hände und sah ihm ganz aus der Nähe
in die Augen, lange, sehr lange.
Dann erhielt Tim das zarteste
Bussi seit Monaten.
„Warten wir auf den nächsten
Zug“, murmelte er, „und dann das Gleiche nochmal?“
„Bitte, nicht.“ Sie war
totenbleich, konnte aber wieder lächeln. „Mein linker Fuß ist nämlich schon
eiskalt. Und alles Übrige auch.“
„Mir ist nicht mehr schlecht.
Und ich weiß jetzt, was dagegen hilft.“
„Häuptling, das war ganz
furchtbar knapp. Ich dachte, es ist aus. Ich wollte dich nur noch wegschubsen,
damit es dich nicht erwischt.“
„Im letzten Moment hätte ich
mich gegen den Zug gestemmt.“
„Klar doch! Du hättest ihn
aufgehalten. Aber dann hätte er Verspätung gehabt. Das kann sich die Bahn nicht
mehr leisten. Deshalb ist es so besser. Da opfere ich doch lieber einen
Gummistiefel. Wie geht’s ihm denn?“
In diesem Moment rief Karl aus
einem der Gärten. „Heh, ihr da oben. Was treibt ihr? Wie ist die Lage?“
Er und Klößchen hatten nichts
mitgekriegt, waren nämlich in der Laube gewesen und hatten sich umgesehen.
Tim und Gaby standen auf. Von
dem Stiefel war nichts mehr übrig. Nur eine Hand voll zerfetztes Gummi hing,
übel stinkend von der Reibungshitze, in der Weiche.
Gaby stand auf einem Bein. Tim
nahm seine Freundin auf die Arme. So stieg er hinunter und ging zurück. Karl
und Klößchen warteten bei der Laube. Oskar war mit der Leine an einem Strauch
angebunden. Klößchen hielt eine Luftpistole in der Hand und sah schuldbewusst
aus.
„Verdammt, sie war geladen“,
meinte er. „Ich habe nur mal in die Gegend gezielt und abgedrückt. Dabei...
Heh, was ist denn mit Gabys Fuß? Habt ihr den Afro nicht eingeholt?“
Kurzer Bericht. Karl und
Klößchen verschlugt die Sprache.
„Der Afrikaner ist natürlich
über alle Berge“, sagte Tim. „Aber vielleicht nimmt er mit Nahgast Kontakt auf.
Der hat uns angelogen. Jetzt können wir ihn etwas gezielter befragen.“
Karl sagte: „In der Laube habe
ich ein Paar Arbeitsstiefel gesehen. Vielleicht gehören sie dem Afro.
Jedenfalls sind sie da. Ziemlich groß und ziemlich verdreckt. Aber Gaby will ja
nicht zu ‘ner Party.“
„Mir wäre auch ein Holzschuh
recht“, meinte sie.
Während Gaby den Arbeitsstiefel
anzog, der aber fünf Nummern zu groß war, weshalb ihr Tim seine beiden
Wollsocken aufdrängte — den rechten wie den linken, nur zwei Tage getragen —
berichtete Klößchen von seinem Missgeschick.
„Die Luftpistole lag dort im
Schrank. Vielleicht hat unser Afrikaner sie in der Eile vergessen. Jedenfalls
habe ich damit einfach mal so geballert. Und jetzt ist drüben bei dem weißen
Gartenhaus die... Fensterscheibe kaputt.“
Karl grinste. „Ein Volltreffer.
Treffen wollte Klößchen aber eigentlich das
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