Die Gehilfen des Terrors
Straßenschild — zehn Meter weiter
links.“
„Ich habe nie behauptet, dass
ich ein Scharfschütze bin. Außerdem zittern mir die Hände, weil ich seit
Stunden keine Verpflegung habe. Ohne irgendwo anzuhalten, seid ihr hierher
geprescht, als gäbe es hier ein kaltes Büfett.“
„Hier gibt’s nur kalte Füße“,
sagte Gaby, „und die hat Tim nun, weil ich seine Socken trage. Hältst du’s aus,
barfuß in den Schuhen?“
„Kein Thema, Pfote. Meine
Laufstempel sind abgehärtet. Wir sollten mal nachsehen, welchen Schaden
Klößchens Meisterschuss angerichtet hat. Und feststellen, wem die Laube
gehört.“
14. Wie kommt Irene hierher?
Gaby ging vor Tim und für einen
Moment musste er grinsen. Es sah zu komisch aus: Links trug seine Freundin den
riesigen Schuh, ausgepolstert mit zwei übereinander gestreiften Wollsocken —
rechts den kleidsamen Gummistiefel.
Gabys sechster Sinn war
hellwach, denn sie sagte über die Schulter: „Als neue Mode werde ich das
niemandem verkaufen können. Außerdem wiegt dieser Latschen zehn Kilo. Oder
kommt’s mir nur so vor — wegen des Puddings in meinen Knien?“
„Ich werde heute Nacht davon
träumen“, erwiderte Tim. „Ich meine, von dem Bussi.“
„Träumen?“, rief Klößchen.
„Super! Wir kommen also ins Bett?“
„Wahrscheinlich erst im
Morgengrauen“, schwächte Tim ab, „wenn wir die Nachtwache hinter uns haben —
bei den Kids von der Bordsteinkante und bei der Noise-Factory, der Wohnung
III-A.“
Sie hatten das weiße Gartenhaus
fast erreicht, als Oskar zu knurren begann.
Gaby blieb stehen und zügelte
ihn. „Hört ihr das? Es klingt wie Geschnarche.“
„Könnte mein Magen sein“,
murmelte Klößchen. „Sein Hilferuf.“
Tim trat zu dem Fenster neben
der Tür, an der außen der Schlüssel steckte. Die Scheibe war zerbrochen.
Klößchen hatte mit der Luftpistole ganze Arbeit geleistet. Glassplitter waren
in die Laube gefallen und dort lag eine Gestalt auf dem Boden.
In dem Gartenhaus war’s fast
dunkel. Trotzdem erkannte Tim, dass es eine Frau war. Sie schnarchte allerdings
wie ein Mann — um nicht zu sagen: wie eine Wildsau.
Er teilte es seinen Freunden
mit. Und: „Ich vermute, sie ist sturzbetrunken. Anders lässt sich dieses
Sägekonzert nicht erklären. Wir sollten uns um sie bemühen, bevor ihr die Zunge
in die Luftröhre rutscht und sie elend erstickt.“
Er öffnete die Tür. Sie ging
nach innen. Er musste die Beine der Schnarchenden wegdrücken. Sie dampfte eine
Schnapswolke aus, die sich trotz kaputter Fensterscheibe noch nicht
verflüchtigt hatte.
Der Lichtschalter. Es wurde
hell. Alle betrachteten die Frau. Oskar schnüffelte an ihr und wich dann
niesend zurück. Denn Hunde mögen nichts Alkoholhaltiges — weder Parfüm noch
Schnaps.
„Hatschi!“, meinte Klößchen.
„Uiiih!“, tirilierte Gaby. „Die
kenne ich. Ja, doch! Hab sie schon mehrmals gesehen. Das ist Irene Lohmann. Die
Frau von dem Baulöwen Lohmann, der die Poseidon-Villa kaufen wollte — wegen
Luxussanierung — , aber ausgestochen wurde von Hans-Martin Zinse, dem
Bulldozer, der genau so schlimm ist oder noch schlimmer. Ja, das ist Irene
Lohmann.“
„Wahnsinn!“, sagte Tim. „Aber
wieso feiert die hier ‘ne Party mit sich allein? Dort liegt die Flasche
Feuerwasser. Leer. Und dieser Gestank von dem Fusel! Sportive Naturen würden
mit dem Zeug höchstens ihr Bike säubern.“
„Vielleicht ist sie
alkoholkrank“, überlegte Karl. „Soll den Sprit unbedingt meiden, weil
Säuferwahnsinn droht, schafft’s aber nicht, weil sie süchtig, also abhängig
ist, und lässt hier in der Laube heimlich die Sau raus.“
Gaby beugte sich über Irene
Lohmann, fühlte nach dem Puls, hob dann ein Augenlid der Schnarchenden.
„Ich würde sagen: Sie ist
betrunken. Sonst nichts.“
Die Jungs waren ausgeschwärmt
und untersuchten die Einrichtung.
Gab es hier Schnapsvorräte? War dieses Gartenhaus Irenes heimliche Lasterhöhle?
Was sich nicht auf den ersten
Blick erfassen ließ, musste in den beiden Kommoden und dem kleinen,
unauffälligen Eckschrank verborgen sein.
„Seht euch das an“, meinte Karl
und nahm einen Arm voll Bücher aus der einen Kommode. „Horror-Romane vom
Schärfsten, Science Fiction und Zaubermärchen. Fluchtlektüre also — Flucht aus
dem wirklichen Leben in eine Welt, die es nicht gibt — außer in den Gehirnen
der Autoren. Irene Lohmann will nichts mehr zu tun haben mit der Wirklichkeit,
sondern geistig entfliehen — wenigstens
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