Die Gehorsame
ich, »dass die Provence ein echter, historischer Ort ist, keine blöde virtuelle Realität. Und es ist ein Ort, für den ich mich interessiere. Ich möchte etwas darüber lernen und erfahren. Und wenn ich dorthin gehe, gehe ich als ich, mit meiner Sonnenbrille und meinen eigenen flachen Schuhen. Mit dem hier hat das nichts zu tun.«
Die ironischen Linien um seinen Mund wurden tiefer. »Dann vielleicht Rio.«
»Vielleicht«, sagte ich.
Es dauerte etwa zwei Wochen, bis alles erledigt war – der Arztbesuch, der Haarschnitt, all das. Niemand in den teuren, geschmackvollen Läden, in die er mich schickte, schien es seltsam zu finden, wenn ich darum bat, die Rechnung an Jonathan zu schicken, obwohl ich es äußerst demütigend fand. Ich dachte ständig, dass diese Leute bestimmt Bescheid wussten. Der Friseur wusste so genau, was Jonathan wollte, und nein, es stimmte, ich sah überhaupt nicht jungenhaft aus. Als er fertig war, starrte ich mich in dem eleganten verchromten Spiegel lange an. Ich sah fantastisch aus, auf eine kalte Hightech-Art. Jonathan musste ein gutes Auge haben, dachte ich. Er hatte von vornherein gewusst, wie gut ich mit einem solch extremen Haarschnitt aussehen würde, es kam jedoch auch noch etwas anderes hinzu. Ich sah vertraut aus, konnte es aber nicht richtig einordnen.
Den ganzen Tag über starrte ich mich in jedem Spiegel an, den ich passierte, in jeder Schaufensterscheibe, aber ich kam einfach nicht darauf. Erst am nächsten Morgen fiel es mir plötzlich ein, als ich erschreckt um vier Uhr aus dem Schlaf hochfuhr. Ich sah aus wie ein Kollaborateur, eines dieser traurigen französischen Mädchen, die mit einem Nazi-Soldaten geschlafen hatten. Nach dem Krieg rächte sich der ganze Ort an ihnen, und dazu gehörte auch, dass ihnen die Haare geschoren wurden. Mein Gott, dachte ich, hatte er das beabsichtigt? Der Feind wollte, dass ich mit ihm schlief, und bezahlte dafür. Stundenlang lief ich, in eine Decke gehüllt, auf und ab, eine Tasse Kaffee in der Hand, während hinter dem Fenster ein grauer Morgen dämmerte.
Und dann musste ich auch Mrs. Branden unzählige Maße angeben, und sie vermaß zusätzlich noch Abschnitte meines Körpers, die ich für unwichtig gehalten hatte. Bei mehr Realismus hätte ich mich natürlich gar nicht erst in diese Situation begeben. Und dann schließlich, an einem Donnerstagabend kurz nach Halloween, war Showtime.
Es fällt mir schwer, diese ersten verschwitzten, peinlichen zwei Wochen zu beschreiben. Wahrscheinlich wirkte ich einfach unbeholfen und ungeschickt. Ich erinnere mich gerne an die seltenen Male, wo ich mich halbwegs hübsch fühlte, und ein paar Mal habe ich auch geistreiche Bemerkungen gemacht. Aber diese ersten qualvollen Wochen … zum Beispiel das allererste Mal, als ich nach all den Anproben und Terminen ins Haus kam. Ich lag auf den Knien, zitternd vor Furcht und Erregung, angebunden an einen Haken in der Wand neben dem Kamin, und wartete auf ihn. Was würde er sagen?, fragte ich mich, und wie mochte es sein, mit ihm zu schlafen? Ich fragte mich sogar, ob ihm meine Frisur gefallen würde. Ich wartete etwa zehn Minuten, bis er schließlich hereinkam, mich gleichmütig musterte und fragte: »Wie begrüßt du mich?«
Das war eine raffinierte Frage. Natürlich wusste ich es nicht, aber ich dachte an die Pornoromane, die ich gelesen hatte, also senkte ich den Kopf und küsste seinen Schuh. Dabei beschmierte ich die Schuhspitze mit dem neuen roten Lippenstift, den er für mich gekauft hatte. Er schlug mich fest mit der Reitgerte, die er dabeihatte (ich hatte noch nie eine Reitgerte gesehen, erkannte sie aber aus meinen Pornoromanen), und befahl mir, den Lippenstift von seinem Schuh zu lecken. Und dann sagte er barsch, ich wisse natürlich gar nicht, wie ich ihn begrüßen solle, weil er es mir noch nicht gesagt habe. Das Erste, was ich lernen müsse, sei, dass ich nie so tun sollte, als ob ich etwas wüsste, wenn es nicht der Fall wäre, und ich solle ihn doch bitte mit diesem Zeug aus meiner pubertären Lektüre verschonen.
Der Schlag mit der Reitgerte war ein Schock, vor allem sein kalter, verächtlicher Tonfall machte mir zu schaffen in diesem Moment und noch Wochen danach. Natürlich war es lächerlich, dass ich so empfand, aber er hatte meine Gefühle verletzt. Bei unserem ersten Gespräch war er zwar nicht gerade liebevoll gewesen, aber immerhin zuvorkommend und anerkennend. In den zwei Wochen, bevor ich zu ihm ins Haus ging, hatte ich mich
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