Die Geisel des Chinesen: Erotischer Roman (German Edition)
konnte er nicht deuten. Er räusperte sich.
„Wir haben uns das letzte Mal gesehen, da waren wir kaum mehr als Kinder. Wir hatten eine enge Bindung aneinander. Was, wenn wir uns nichts mehr zu sagen haben? Wenn ich ihm unwillkommen bin?“ Schmerz legte sich über auf schönes Gesicht.
Cai holte Luft. Das war die Chance, die er ergreifen sollte. Nur ein wenig mehr Zeit mit Lizzie verbringen! Ein paar gestohlene Stunden, Tage, ehe sie in ihr wohlbehütetes britisches Leben zurückkehrte und ihm für immer entrissen war.
„Darf ich dich einladen, mein Gast zu sein? Bis du dich imstande siehst, deinem Bruder gegenüberzutreten?“ Er sah das Zögern in ihren blauen Augen. Er spürte förmlich die Zerrissenheit, der Versuchung nachzugeben, sein Angebot anzunehmen.
„Wir können deinen Bruder benachrichtigen, dass du wohlauf und in Schanghai bist.“
Ihr Kopf machte eine kleine, zustimmende Bewegung. Cai nickte erleichtert. Im selben Moment schalt er sich einen Narren. Was tat er da? Eine Britin in seinem Haus beherbergen? War er verrückt geworden? Die anderen Europäer rannten ihm die Türen ein, wenn dies bekannt wurde, und Lizzies Bruder stünde vermutlich schneller vor der Tür, als Shen Wei-Hu ihm eine Nachricht überbringen konnte. Und wie würde sich das auf Lizzies Ruf auswirken, wenn sie mit einem unverheirateten Chinesen unter einem Dach lebte?
Ihm fiel Mai-Ling ein. Die ehemalige Konkubine lebte immer noch in der Straße der Konkubinen. In jenem Haus, das er ihr gekauft hatte. Sie würde Lizzie in ihrem Heim willkommen heißen und keine Fragen stellen. Und niemand käme auf die Idee, Lizzie dort zu suchen. Frauen verließen das Haus selten und wenn dann nur hinter den Schleiern ihrer Sänften. Keiner würde Lizzie finden.
Lizzie packte ihre Habseligkeiten recht schnell ein. Als sie den Anzug ihres Bruders in den Händen hielt, überlegte sie einen Augenblick lang, ob sie ihn überhaupt mitnehmen sollte. Doch dann dachte sie, dass man nie wissen konnte, wozu man hilfreiche Dinge erneut benötigen könnte, und schob die Kleider ebenfalls in ihre Tasche. Sie zupfte ihr schlichtes Ausgehkleid zurecht, packte ihre Reisetasche und trat aus der Schlafkammer. Einen kurzen Moment lang blieb sie stehen, sah sich in der großen Kajüte um und erinnerte sich an die vergangenen Monate. Wehmut überfiel sie. Dieser Raum und das Leben an Bord waren wie eine andere Welt gewesen. Hier durfte sie einfach Lizzie sein. Weit weg vom ton und ihren Eltern, wo jedes falsch platzierte Husten Gesprächsstoff über Tage hinaus lieferte. Energisch schüttelte sie ihren Kopf und damit auch ihre Melancholie ab.
Bei Jake wäre es anders. Er legte die gesellschaftlichen Fesseln weitaus weniger streng an. Sie schluckte. Wer weiß, vielleicht hätte er sogar Verständnis dafür, wenn sie ihm gestand, dass sie Cai liebte.
Sie erstarrte. Sie liebte Cai. Es war nicht nur eine Schwärmerei. Keine keusche Verliebtheit. Nein, sie liebte ihn. Sie liebte ihn, wie eine Frau den Mann lieben sollte, mit dem sie den Rest ihrer Tage verleben wollte.
Die Tasche entglitt ihren Fingern, und sie presste die Hand an ihre bebende Brust.
„Ich liebe Cai“, flüsterte sie.
Es auszusprechen, war wie ein Geständnis an sich selbst. Sie war verrückt geworden. Das musste es sein. In der langen Zeit auf dem Meer hatte sie ihren Verstand verloren. Eine Britin und ein Chinese – hatte man jemals von einer solch skandalösen Verbindung gehört?
Cai hakte ihren Arm bei sich unter und reichte Shen Wei-Hu Lizzies Gepäckstück.
„Alles in Ordnung?“
Sie sah ihn an, und ihr Lächeln ging ihm durch und durch. Er bereute sein Taktieren keinen Moment. Sie nur einen Tag länger in seiner Nähe zu behalten, wäre ihm die Verdammnis der Hölle wert.
„Wo ist dein Haus?“ Ihr Tonfall klang munter.
Zeit für erste Geständnisse. „Ich bringe dich bei einer Freundin unter“, erklärte er und betrachtete sie aufmerksam. Enttäuschung huschte über ihre Miene.
„Ich denke, es schickt sich nicht, wenn du bei mir, einem Junggesellen, wohnen würdest.“ Also ob die Unterkunft bei einer Konkubine schicklicher wäre! Cai ging es darum, dass Lizzie nicht sofort ausfindig gemacht werden konnte. Die Dienerschaft war geschwätzig. Eine Frau in seinem Haus, noch dazu eine yi, forderte die Tratschsucht der Angestellten heraus. In Mai-Lings Haus hingegen gab es zwei Dienerinnen, die sich in der Vergangenheit als loyal und verschwiegen erwiesen hatten. Dort
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