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Die Geisel des Löwen: Historischer Roman (German Edition)

Die Geisel des Löwen: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Geisel des Löwen: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Jordan
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atmete auf, als sie die Speisekammer inspizierte und eine große, wohlgenährte Ratte in ihrer Falle fand. Das Tier schaute sie wütend an und biss in die Stäbe seines Käfigs, aber die stabile, eiserne Falle erlaubte kein Entkommen. Amra sprach der Ratte gut zu, obwohl sie sich dabei dumm vorkam, und fütterte sie dann mit Körnern und noch mehr Käse. Schließlich versteckte sie das Tier in seinem Gefängnis zwischen den Heringsfässern. Einen Tag lang würde das schon gehen.
    Mascha schaute nicht minder verärgert, als Amra sie gleich darauf freiließ. Das Mädchen tröstete sie mit ein paar Fischresten und war guten Mutes. Bislang lief alles nach Plan, doch jetzt stand der Weg nach Arkona an. Amra begab sich erneut in die Speisekammer des Gutshofes. Baruch von Stralow war reich und leiblichen Genüssen nicht abgeneigt. Deshalb waren die Vorratsräume seines Gutshofes auf Rujana stets gut gefüllt. Im Gegensatz zu den anderen Dörflern, die fast nur von Hering und Brei lebten, labten sich Baruch und sein Haushalt gelegentlich am Pökelfleisch vom Festland. Es gab Mehl und Salz, Gewürze und Wein, Mirnesa und Amra backten regelmäßig Brot. Amra bereitete zwei Bündel mit Brot, Rauchfleisch, Käse und Wein vor und legte sie in ihren Korb – eins für die Gefangenen, eins für die Wachleute, die ihren Anteil forderten. Amra war sich nicht sicher, ob das ausreichen würde, aber im Notfall hatte sie ja noch die Glasperlenkette von Herrn Baruch. Ganz bestimmt konnte sie die Männer damit bestechen, sie kurz zu Magnus und Herrn Gisbert zu lassen.
    Bevor sie losging, unterzog Amra rasch noch ihr Kleid und ihr Haar einer Prüfung und stellte unglücklich fest, dass sie nicht besonders gut ausfiel. Ihr Kleid war nach dem Ausnehmen der Fische mit Blut besudelt, ihre Haut brannte vom Salz, und zweifellos stank auch ihr Haar nach Fisch. Magnus musste sie für gänzlich ungepflegt halten … Kurz entschlossen lief Amra noch einmal in ihre Kammer neben der Küche und suchte ihren größten Schatz hervor, den sie seit einem Jahr unter dem Strohsack hortete, um sich immer wieder an seinem Duft zu ergötzen – ein Stück Seife aus Arabien, Herr Baruch hatte sie ihr von seiner letzten Reise nach Genua mitgebracht. Und in ihrer Truhe fand sich auch noch ein Kleid. Es war etwas zu eng und zu kurz. Amra war in den vergangenen Monaten gewachsen und hatte ein neues gebraucht, das alte war gewaschen worden und sollte zu einem Rock oder einer Bluse umgeschneidert werden. Amra nahm es an sich – einmal musste es noch gehen, sie würde einfach ein bisschen vorsichtiger Luft holen. In der Truhe lag außerdem ein grünes Schultertuch, schlicht, aber aus edlem Stoff gefertigt, ebenfalls ein Geschenk des Herrn Baruch. Wenn sie sich das umlegte, würde man das Kleid kaum sehen.
    Amra packte alles in ihren Korb und eilte damit in Richtung Höhenweg – Vitt lag in einer Uferschlucht, man musste klettern, um den Hauptweg zur Burg zu erreichen. Aber etwas oberhalb des Dorfes kannte sie eine Quelle, an der sie jetzt haltmachte, um sich zu reinigen. Zum Glück war sonst noch niemand unterwegs. Die Nacht war für alle Frauen des Ortes lang geworden, sicher schliefen die meisten noch. Und die Fischer fuhren bestimmt schon aufs Meer.
    Amra schrubbte sich mit der wohlriechenden Seife und wusch auch ihr Haar. Es roch danach wie eine Blumenwiese, und sie hoffte, dass es ein paar Tage anhielt. Während Amra sich in das enge, aber saubere Kleid zwängte, gestattete sie sich einen kurzen Tagtraum: Womöglich konnte sie Magnus ja noch treffen, bevor er nach der Flucht endgültig in See stach. Vielleicht sah er sie wieder so an, wie er es am Tag zuvor getan hatte, und sagte ihr ein paar freundliche Worte. Amra malte sich höfische Schmeicheleien auf Französisch aus, während sie den Höhenweg entlanglief, aber sie spähte auch nach Schiffen aus. Und freute sich, als sie den Schoner Hilge Maget in der Bucht vor Anker liegen sah. Genau darauf hatte sie gehofft. Herr Baruch heuerte den Kapitän dieses Schiffes gern für den Transport seiner Ware an, sicher wartete er auch jetzt auf Heringsfässer für Lübeck. Amras Herz schlug heftig. Bislang schienen die Götter auf ihrer Seite zu sein.
    Auf der Burg herrschte trotz der frühen Stunde schon reges Treiben. Die Kunde von der Menschenopfergabe hatte sich in Windeseile verbreitet, und Gaukler und Marktschreier erhofften sich gute Geschäfte. Sie bauten bereits Stände und Garküchen rund um das Heiligtum des

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