Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Geisel des Löwen: Historischer Roman (German Edition)

Die Geisel des Löwen: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Geisel des Löwen: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Jordan
Vom Netzwerk:
zu schleifen. Man bewachte sie, befreite sie aber von den Eisen.
    Amra, die wieder Baruchs Pferd hielt, ließ den Blick erneut über den Tempelbereich schweifen. Wo würde man das Opfer darbringen? Sie erinnerte sich an andere Blutopfer, denen sie hier beigewohnt hatte – nicht oft, Mirnesa nahm ihre Tochter nur mit zu den Zeremonien, wenn es sich nicht vermeiden ließ. Ein paar Schafe oder Rinder ließen auch beim Ernteorakel ihr Leben – direkt vor dem Allerheiligsten, aber natürlich nicht im unantastbaren innersten Tempelbereich.
    Amra sah sich den Platz näher an. Er lag zwischen den Burgwällen und den Gebäuden – vom Haupttor aus ging man direkt darauf zu. Der Zugang würde frei bleiben, bei einer solchen großen Zeremonie stand die Burg dem gesamten Volk offen. Alle Menschen aus Vitt und Puttgarden würden ein- und ausgehen, vielleicht sogar die Kaufmannschaft. Es müsste eigentlich möglich sein, dass sich ein Junge wie Magnus unter das Volk mischte und unauffällig entkam, wenn seine Flucht nicht gleich entdeckt würde. Allerdings standen die Tieropfer immer für alle gut sichtbar vor dem Tempelbereich, das hielt man mit den Menschenopfern sicher nicht anders. Wenn Magnus weglief, würde es jeder sehen. Es sei denn … Es müsste ein Durcheinander geben, die Menschen müssten erschreckt, aufgewühlt, die Priester gänzlich abgelenkt werden. Dann würden die Wachen auf den Türmen auf den Platz vor dem Tempel schauen und nicht darauf achten, wer durch die Tore lief!
    Amra grauste es ein wenig vor dem, was sie plante. Womöglich würde der Gott sie dafür strafen, vielleicht ließ er gleich Blitze auf sein entweihtes Heiligtum niedergehen oder durchbohrte sie mit einem heiligen Schwert, oder er ließ sie von seinen Pferden niedertrampeln. Amra dachte erneut an die Götterfinger, die vorhin durch die Wolken gegriffen hatten. Svantevit konnte sie entrücken, er … nein, darüber wollte sie jetzt nicht nachdenken! Schließlich hatte er auch nicht eingegriffen, als der Priester sein Orakel beeinflussen wollte. Und Herr Baruch glaubte sowieso nicht an die Macht des Gottes …
    Amra jedenfalls war entschlossen, es zu versuchen – wenn nicht noch ein Wunder geschah und Herr Baruch Magnus freikaufen konnte. Sie betete dafür mit aller Kraft, aber weder Svantevit selbst noch die Erdgöttin Mokuscha, die Amra in Magnus’ Sache für aufgeschlossener hielt, erhörten ihr Flehen.
    Baruch schüttelte den Kopf, als er aus dem Palas trat. »Die Herren lassen sich nicht erweichen«, seufzte er, als er näher kam und Amra sein Pferd wieder abnahm. »Die Opferung ist für übermorgen anberaumt. Bis dahin sollten die Heringe in Vitt eingesalzen sein, und das Volk hat Zeit zuzusehen. Wobei die Priester auch ausdrücklich die Kaufleute eingeladen haben, die dann in Vitt weilen werden. Jeder, vom Höchsten bis zum Geringsten auf Rujana, solle Zeuge der Macht des Gottes werden, meint Muris. Das solle man als Befehl auffassen. Es tut mir leid, Amra. Du wirst deinen kleinen Ritter sterben sehen.«
    Als Erstes sperrte Amra die Katze ein. Ihre Mutter stellte Mause- und Rattenfallen in den Vorratsräumen auf, gewöhnlich reichte allein Maschas Anwesenheit auf dem Hof jedoch, die Nager fernzuhalten. In den Fallen fand sich höchstens mal ein Mäuschen, aber das war für Amras Plan zu wenig.
    Nun half sie nervös beim Ausnehmen und Einsalzen der Fische, während Mascha wütend von innen an den Türen des Wandschranks kratzte. Hoffentlich beruhigte sie sich, bis der Kaufmann zu Bett ging. Und hoffentlich ließen sich die Ratten rasch von dem Geruch des Käses anlocken, den Amra für sie ausgelegt hatte. Wenn ihr keine in die Falle ging, würde sie mit einer Katze oder einem Hund arbeiten müssen, was natürlich einfacher wäre. Doch Amra mochte keins ihrer Haustiere opfern.
    Die Arbeit mit den Heringen dauerte bis spät in die Nacht, und schließlich fielen Amra und ihre Mutter todmüde auf ihre Strohsäcke. Baruch war noch nicht zurückgekommen, wahrscheinlich hatte er bereits die Verhandlungen rund um den Heringshandel aufgenommen. Die Kaufleute rissen sich jetzt um die Kapitäne der wenigen Frachtschiffe, die gerade vor Rujana vor Anker lagen. Wer die Märkte in Lübeck und Hamburg als Erster beliefern konnte, hatte die Nase vorn.
    Trotz der kurzen Nacht erhob sich Amra schon früh am nächsten Morgen. Sie hatte unruhig geträumt, und beim Aufwachen stand ihr gleich Magnus’ Bild vor Augen. Es gab eine Menge vorzubereiten.
    Amra

Weitere Kostenlose Bücher