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Die Geisel des Löwen: Historischer Roman (German Edition)

Die Geisel des Löwen: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Geisel des Löwen: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Jordan
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Novizin war.
    »Also, Schwester, ich würde ja gern noch ein wenig mit dir plaudern«, meinte die leutselige Schwester Gotlind schließlich und drückte Amra noch ein Bündel in die Hand, bestehend aus einer Wolldecke, einem rauen Betttuch, einem Kopfkissen und einer Binsenmatte. »Aber du hörst, die Glocken rufen zur Komplet. Du kannst dein Bettzeug noch hierlassen, bis wir aus der Kirche kommen.«
    Amra wäre beinahe ein entsetztes »Schon wieder?« herausgerutscht. Schließlich war die Vesper doch gerade erst zwei Stunden her. Zum Glück gelang es ihr, sich zu beherrschen. In ihrer für sie zwar neuen, aber sicher schon unzählige Male benutzten und gewaschenen Kleidung folgte sie Schwester Gotlind zum Nachtgebet. Vor dem Zubettgehen hatte sie mit Melisande und Joana auch stets gebetet, eine kurze Zeremonie. Das würde sie sicher auch hier durchstehen, ohne gleich wieder halb zu erfrieren.
    Im Kloster sah die Sache allerdings anders aus. Die Komplet begann mit einem Bekenntnis der im Laufe des Tages vielleicht begangenen Sünden, es folgten ein Halleluja sowie Bitten um göttlichen Segen und das Erbarmen des Herrn. Wieder wurden Psalmen gebetet, die Oberin las erneut aus der Bibel, es folgte ein Lobgesang. Amra fühlte sich erbärmlich, als sie endlich die Kirche verlassen durfte. Sie bibberte vor Kälte und freute sich nur noch darauf, den kratzenden Habit ablegen zu dürfen, auch wenn sie dann noch mehr frieren würde. Außerdem knurrte ihr der Magen, und sie war zornig: auf den Herzog, der sie hier mittellos allein gelassen hatte, auf die Oberin, die ihr das Abendessen verweigert hatte … und auf das anhaltende Schweigen der anderen Schwestern. Warum redeten sie nicht miteinander, sie konnten doch nicht alle verfeindet sein?
    Amra folgte dem Zug der schwarz oder schwarz-weiß gewandeten Frauen zum Dormitorium, einem großen, ungeheizten Raum voller Einzelbetten. Für Amra war das ungewohnt. In Braunschweig hatte sie mit Melisande das Bett geteilt, und auf Rujana schmiegten sich die Frauen in der Mägdekammer eng aneinander, um sich warm zu halten. Hier dagegen schien das verpönt, die Betten standen voneinander getrennt, und dazwischen brannten Kerzen. Amra hielt ihre eiskalten Hände über eine der Flammen und hoffte, dass sie den Raum wenigstens ein wenig heizten.
    »Wo soll ich denn schlafen?«, erkundigte sie sich schüchtern bei Schwester Agatha, die sie als Einzige kannte. Schwester Gotlind, die sie sympathischer gefunden hatte, war nirgends zu sehen.
    Agatha blitzte ihre neue Mitschwester an, als hätte ihr Amra auf den Fuß getreten. Dann hob sie den Finger an den Mund und wies Amra zu einem Bett am Ende einer Reihe.
    Sie gab eine Art ärgerliches Zischen von sich, als Amra sich höflich bedankte. Und gleich darauf beging die junge Frau wohl den nächsten Fehler, indem sie aufatmend den Habit über den Kopf zog. Am Hof des Herzogs pflegten die Mädchen in ihren Leinenhemden oder Unterkleidern zu schlafen. Doch hier reagierte die Schwester neben Amra mit kaum verhohlenem Entsetzen. Hektisch signalisierte sie der Neuen, die Tunika wieder anzuziehen.
    »Schläft man hier in seinen Kleidern?«, wunderte sich Amra – und erntete das nächste Kopfschütteln sowie Zeichen, jetzt endlich den Mund zu halten.
    Amra schwieg also, breitete Matte und Leintuch auf dem Bett aus und zog sich verzweifelt die Decke über den Kopf. Sie wollte an Magnus denken, befürchtete jedoch, darüber in Tränen auszubrechen …
    Die Nacht im Kloster erwies sich dann als kurz und unruhig. Niemand löschte die Kerzen im Schlafsaal, sie dienten wohl dazu, den älteren Schwestern ihre nächtlichen Kontrollgänge zu erleichtern. Amra fuhr erschrocken aus dem Schlaf, als sich die erste Schwester mit klapperndem Weihwasserbehälter näherte. Sie hatte keine Ahnung, was hier kontrolliert wurde, aber die Ordensfrauen wanderten gemessenen Schrittes von einem Bett zum anderen und beobachteten die schlafenden Mitschwestern.
    Und dann, als Amra gerade wieder eingeschlafen war, durchbrachen erneut Kirchenglocken die Stille. Amra vermochte es kaum zu glauben, aber die Schwestern erhoben sich gleich schweigend, obwohl sicher noch im Halbschlaf, und wanderten zur Kirche hinüber. Amra fiel dabei auf, dass viele Betten im Dormitorium leer waren. Die begüterten Schwestern hatten sich wohl in ihre sicher geheizten Privaträume zurückgezogen. Amra sah Schwester Gotlind und andere im Kreuzgang wieder, wo die Frauen schneidender Frost überfiel, die

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