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Die Geisel des Löwen: Historischer Roman (German Edition)

Die Geisel des Löwen: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Geisel des Löwen: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Jordan
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vorfand. Wenn es sie nach Bildung gelüstete, lasen sie in der Klosterbibliothek, und einigen gefiel es auch, dort Schreibarbeiten zu erledigen. Sie kopierten aus anderen Bibliotheken geliehene Werke und versahen die Schriften mit teilweise künstlerischen Verzierungen in bunten Farben und unter Verwendung von Blattgold.
    Auch Kerzenziehen und die Sorge um die Klosterkleidung waren eher leichte Arbeiten. Eine wichtige Funktion war die der Kellermeisterin, sie war für den Weinkeller, die Nutzgärten und die Küche zuständig. Dabei kochte die mit diesem Amt betraute Edelfrau natürlich nicht selbst, sondern beaufsichtigte Dienstboten und die jüngeren und vor allem weniger begüterten Schwestern, die man zu Küchen-, Garten-und Stallarbeiten einteilte.
    Amra stellte schnell fest, dass sie nicht die Einzige war, die in Walsrode keine Sonderregelungen genoss, und sie lernte auch bald, dass es Frauen gab, die auf eigenen Wunsch im Stift weilten, und andere, die es aus den verschiedensten Gründen dorthin verschlagen hatte. Die meisten von ihnen hatten das Pech, die vierte, fünfte oder sechste Tochter einer Familie von nicht allzu hohem Adel zu sein. Wenn ihre älteren Schwestern verheiratet worden waren und die Brüder die Schwertleite gefeiert hatten, war schlicht kein Geld mehr übrig, um sie mit einer annehmbaren Mitgift auszustatten. Sofern sie dann auch keine strahlenden Schönheiten waren oder keinen »dynastischen Wert« darstellten, um dessentwillen ein Hochzeiter vielleicht über die mangelnde Mitgift hinweggesehen hätte, blieb ihnen nichts als das Kloster.
    Nun war auch das nicht umsonst, zum Teil kostete es sogar recht viel Geld, ein Mädchen in einem Orden einzukaufen. Die Kanonissen in Walsrode gaben sich oft mit der Überschreibung von etwas Landbesitz zufrieden, besonders, wenn er an die schon bestehenden Klosterländereien anschloss. Die jüngeren Mädchen stammten deshalb fast alle aus der Gegend. Viele litten unter heftigem Heimweh nach ihrem Heimathof, der nur wenige Meilen weit weg lag, ihnen jetzt jedoch so fern war wie der Mond. Die Novizinnen durften das Kloster nicht verlassen, und die ärmeren unter ihnen wurden behandelt wie bessere Dienerinnen. Das hatte ganz handfeste Gründe: Diese Mädchen waren auf ihrem Heimathof zur Mithilfe im Haushalt eingesetzt worden – Landadlige lebten kaum komfortabler als ihre Bauern. So verstanden sie sich aufs Kochen, Waschen, Seifensieden und auf die Gartenarbeit. Reiten konnten sie allerdings nicht, und auch von der Falkenjagd hatten sie vor dem Eintritt ins Kloster höchstens träumen können. Zudem hatte in der Regel nie jemand von ihnen verlangt, Stallarbeit zu leisten und Großtiere zu versorgen – ein Umstand, der im Kloster zu Schwierigkeiten führte. Amra erlebte gleich am zweiten Tag nach ihrem Eintritt eine heftige Auseinandersetzung zwischen der Kellermeisterin, der Äbtissin und einer Novizin namens Maria Agnes.
    Das Mädchen, kaum fünfzehn Jahre alt, ohnehin eingeschüchtert und wohl auch noch nicht allzu lange im Konvent, brach in Tränen aus, als die Kellermeisterin sie bei der morgendlichen Versammlung im Kapitelsaal für die Stallarbeit einteilte.
    »Ich mach das nicht!«, schluchzte Schwester Agnes. »Die Kuh mag mich nicht, sie hat nach mir getreten, als ich sie melken wollte. Ich kam gar nicht an das Euter ran. Und hinterher hat Schwester Agatha mit mir geschimpft, weil es keine Milch gab. Und die Pferde sind so groß … und jetzt die neuen …«
    »Die neuen sind ganz freundlich«, warf Amra ein, um der Kleinen Mut zu machen, woraufhin die Äbtissin sie wütend anfunkelte.
    Ungefragt hatten Novizinnen nicht das Wort zu ergreifen, und die Weigerung der kleinen Agnes, die ihr aufgetragene Arbeit zu tun, war sicher auch nicht gern gesehen. Die Kellermeisterin, Schwester Gundula, schien dem Mädchen allerdings Verständnis entgegenzubringen. Sie war für die Einteilung der Arbeiten in Haus, Stall und Garten zuständig und erlebte einen solchen Ausbruch offensichtlich nicht zum ersten Mal.
    »Ihr hört es mal wieder, Mutter Clementia«, wandte sie sich an die Oberin. »Die Novizinnen fürchten sich. Und sie bringen ja auch nichts zustande – was hilft es, wenn wir Agnes in den Stall zwingen, aber die Kuh kriegt Milchfieber, weil sie es nicht fertig bringt, sie abzumelken. Wenn wir dagegen einen Knecht einstellten …«
    »Keine männlichen Dienstboten in diesem Konvent!«, fuhr ihr die Oberin ins Wort. »Darüber wurde bereits vor Jahren

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