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Die Geisel des Löwen: Historischer Roman (German Edition)

Die Geisel des Löwen: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Geisel des Löwen: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Jordan
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fünf Psalmen gebetet, und die Äbtissin schlug die Bibel zur Lesung auf. Sie trug mit monotoner Stimme vor, wäre Amra nicht so kalt gewesen, hätte sie darüber einschlafen können. Danach wurde wieder gesungen, eine Vorsängerin wechselte sich mit dem Chor ab. Es klang wirklich sehr schön, die Wirtin des Gasthofs hatte nicht übertrieben. Schließlich folgte eine Rezitation, die Amra schon kannte: das Magnifikat.
    »Siehe, ich bin die Magd des Herrn …«
    Mariana sprach mit, aber Amra verpasste den Einsatz, und Schwester Agatha sah sie von der Seite strafend an.
    Auf das Magnifikat folgten Fürbitten, und die Oberin und eine weitere Vorbeterin überschlugen sich fast dabei, jedes lebende und verstorbene Mitglied der sächsischen Herzogsfamilie zu erwähnen. Amra hoffte nur noch, dass das alles bald endete, inzwischen war sie sehr hungrig, sie hatte jedoch noch das Vaterunser, ein Tagesgebet und schließlich den Segen zu überstehen. Dann endlich erhoben sich die Schwestern und die Ritter, alle steif gefroren in der ungeheizten Kirche.
    Die Oberin winkte Herzog Heinrich sowie Amra und Mariana, ihr zu folgen. Schweigend führte sie die drei durch den Kreuzgang. Ihre Amtsräume lagen am anderen Ende der Anlage neben dem Refektorium, dem Speisesaal der Ordensfrauen. Sie wies Amra und Mariana an, in einem Vorraum zu warten. Herzog Heinrich bat sie in ihr Amtszimmer.
    Mariana hob dazu an, etwas zu sagen, aber Amra legte den Finger auf ihre Lippen. Es würde schwer genug sein, etwas durch die solide Holztür zu hören, doch in diesem Fall erwiesen sich die Klosterregeln als nützlich – die Ordensfrauen, die zum Nachtmahl in den Speisesaal strömten, schienen über den Boden zu schweben, sie gaben keinen Laut von sich. Kein Lachen und Plaudern, nur Schweigen drang aus dem Refektorium, bis sich alle gesetzt hatten und das Essen aufgetragen war.
    Amra legte entschlossen ihr Ohr an die Tür zum Zimmer der Oberin. Wenn hier über ihr Schicksal entschieden wurde, wollte sie zumindest mithören.
    Das allerdings war nicht so einfach, wie sie es sich vorgestellt hatte. Die Mauern des Klosters waren dick, die Tür schloss fest. Dazu sprach die Oberin leise. Herzog Heinrichs weit tragende, befehlsgewohnte Stimme war allerdings nicht so leicht zu dämpfen. Amra vernahm zumindest Wortfetzen: »Leichtfertig … vielleicht auch etwas verderbt … aufgewachsen unter Heiden … für den Hof meiner sehr jungen Gattin untragbar …«
    Amra schoss die Röte ins Gesicht. So also schilderte er sie! Und das, nachdem sie monatelang gekämpft hatte, um ihre Unschuld zu bewahren.
    Als Nächstes verstand sie die Worte »in Zucht nehmen« und »Strenge«. Die Oberin sagte auch etwas über die Regeln des heiligen Benedikt, auch das Wort »Kanonissen« fiel. Heinrich äußerte sich zustimmend, zumindest klang seine Stimme zufrieden, sofern Amra das richtig deutete.
    Und dann musste sie schnell von der Tür wegspringen, denn sie hörte seine Schritte auf den Ausgang zukommen.
    »Wie dem auch sei, Mutter Oberin«, sagte er laut. »Macht einfach eine gute Christin aus ihr – aber nehmt ihr nicht gleich alle Gelübde ab! Die Zuwendungen meiner Gattin für Euer Kloster werden gerade abgeladen, ich danke Euch für Eure Bemühungen.«
    Nun öffnete sich die Tür, und der Herzog verabschiedete sich freundlich von der Oberin und kurz von Amra. »Fügt Euch in Demut und Gehorsam, Frau Amra«, wies er sein angebliches Mündel an, »dann wird Gott Euch Eure Fehler verzeihen.«
    Amra würdigte ihn keines Blickes, während Mariana höfliche Abschiedsworte fand. Die Äbtissin musterte ihre künftige Novizin unwillig. Ihr Trotz gegenüber Heinrich entging ihr nicht, und als Heinrich schließlich gegangen war, ärgerte sich Amra über ihr eigenes Verhalten. Für die Oberin musste es das Bild bestärken, das Heinrich da eben von seiner Schutzbefohlenen gezeichnet hatte.
    »Komm einmal zu mir herein, Anna Maria«, sagte die Oberin, als sich die Türen hinter dem Herzog geschlossen hatten. »Ich werde dir einiges über unseren Orden und das Kloster erzählen, da du ja, wie dein Oheim meinte, völlig gottlos aufgewachsen bist.« Die Oberin streifte Amra mit einem Blick, als hätte die junge Frau eine Wahl gehabt. »Und bring deine Begleiterin mit. Mein Name ist übrigens Mutter Clementia, für dich ›Ehrwürdige Mutter‹. Ich bin die Vorsteherin unserer Gemeinschaft, deshalb gebührt mir der Titel ›Mutter‹, ansonsten reden wir einander mit ›Schwester‹ an.

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