Die Geisel des Löwen: Historischer Roman (German Edition)
noch ein paar Worte mehr, und er wäre Magnus auch so aus der Kirche gefolgt. Aber Magnus war ja wie toll vor Sorge um Euch.« Heribert nahm die Schmiedeschürze ab.
»Eben«, fauchte Amra. »Und das macht Ihr ihm nun zum Vorwurf? Dass er eine Frau schützen wollte? Was zählt höher, Herr Heribert – Minnedienst oder die Kirche?«
Heribert vorzog das Gesicht. »Ich schätze, da wären Eleonore von Aquitanien und der Papst ziemlich gegensätzlicher Ansicht«, versuchte er zu scherzen. »Doch was mich angeht: Ich mache niemandem einen Vorwurf. Außer mir selbst, ich hätte Euch nicht überreden dürfen, hierherzukommen, um Herrn Niklot zu heiraten. Aber ich kannte Herrn Niklot nicht, ich hatte ihn nur ein paarmal gesehen. Ich konnte nicht wissen, wie … wie er zu Frauen steht. Und ich wusste auch nicht, dass Magnus herkommen würde, nicht mal, wo er die ganze Zeit über war.«
Amra richtete sich auf. »Und dennoch schuldet Ihr mir etwas«, sagte sie fest. »Ihr sagt selbst, Ihr habt nicht ritterlich an mir gehandelt.«
»Na ja …«, Heribert wollte etwas einwenden, doch Amra gebot ihm energisch Schweigen.
»Ihr könnt diese Schuld jetzt einlösen, Herr Ritter, so Gott es will. Falls die Richter Magnus heute schon in den Kampf oder an den Galgen schicken, ist alles verloren …«
Amra zitterte allein bei dem Gedanken. Endlich, endlich bot sich ihr eine Lösung, wenn diese Richter bloß nichts überstürzten.
»Soll ich anbieten, anstelle von Magnus zu kämpfen?«, fragte Heribert unsicher. »Ich habe auch schon daran gedacht, aber ich glaube nicht, dass man es mir gestatten würde. Auch Magnus selbst würde es nicht wollen. Und es gäbe keine Gewähr dafür, dass ich siege. Pribislav würde mir seinen stärksten Ritter entgegenstellen. Ich würde mit hoher Wahrscheinlichkeit unterliegen, und Magnus endete doch am Galgen.«
Amra schüttelte den Kopf. »Nein. Keine Gottesurteile, keine Orakel und all diese Dinge. Ich brauche Euch nicht als Ritter, Herr Heribert. Ich brauche Euch als Schmied. Und bitte, bitte sagt nicht Nein!«
Es war um Mitternacht, als Amra sich zitternd vor Aufregung, ein Bündel mit Kleidungsstücken unter dem Arm, aus den Frauengemächern schlich. Da sie nicht offiziell als Gefangene galt, standen keine Wachen vor ihrer Kemenate. Relana teilte nur täglich eine Dienerin dazu ein, vor ihrer Tür zu schlafen. Unter dem Vorwand, ihr aufwarten zu wollen, begleiteten die jungen Frauen sie bei jedem Gang und folgten ihr sogar zum Abtritt. In dieser Nacht oblag dieser Dienst Natasa – und sie hatte sich gern bereitgefunden, Amras Weggang zu decken. Amra überließ ihr dafür einige ihrer Kleider, unter anderem das Hochzeitskleid. Natürlich konnte Natasa die Sachen nicht selbst tragen, aber wenn Plamen und sie alles auf dem Markt verkauften, würden sie über eine fürstliche Aussteuer verfügen.
»Ich sage einfach, Ihr habt mich betäubt«, erklärte Natasa und bediente sich vergnügt des Würzweines und Mohnsirups, den Relana für Amra gemischt hatte.
Die Fürstin hatte der jungen Frau mitgeteilt, Magnus sei ein Gottesurteil bewilligt worden, jedoch kein letztes Treffen mit Amra, obwohl er darum gebeten hatte. Der einzige Trost, den sie ihr spenden konnte, war ein wirksamer Schlaftrunk.
»Ihr habt mich verleitet, davon zu trinken«, fuhr Natasa fort und nahm einen großen Schluck von dem süßen Getränk, das sie sichtlich genoss, »weil ich mich ein bisschen krank fühlte. Und da bin ich halt eingeschlafen.«
Eine empfindliche Strafe für ihr Vergehen befürchtete die junge Frau nicht. Relana war nicht streng mit ihrer Dienerschaft, und Natasa genoss zudem das Privileg, zu den Lieblingskinderfrauen ihrer Söhne zu gehören. Die selbstbewussten Knaben würden nicht dulden, dass man sie schlug oder degradierte.
Schwieriger würde es im Kerker werden. Zwar war Plamen, Natasas Freund, eingeweiht und würde wegsehen, wenn Amra und Heribert Magnus befreiten. Ihm oblag die Wache über das gesamte Areal des Westturms, er konnte behaupten, dass der Gefangene entflohen war, während er die Wehrgänge inspizierte. Allerdings hatte das Gericht das Gottesurteil für den nächsten Tag angesetzt, und jeder ging davon aus, dass Magnus beim Kampf bis zum Tod mit einem von Pribislavs stärksten Rittern unterlag. Wenn sich jetzt noch jemand fand, der ihn in seiner letzten Nacht im Kerker aufsuchen wollte, so würde Heribert ihn niederschlagen müssen. Amra hoffte, dass er es dann auch tat, selbst wenn es
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