Die Geisel des Löwen: Historischer Roman (German Edition)
nichts mehr tun.«
Amra ließ sich zurück in die den Weg säumende Menge fallen und verfolgte, halb blind vor Tränen, wie man Magnus die Stufen hinaufschleifte und die Tür des Rittersaals sich hinter ihm schloss.
Sie wusste nicht, was sie nun tun sollte, aber dann wurde ihr zu ihrer Überraschung bewusst, dass sie frei war. Kein Ritter, keine Edelfrau in ihrer Umgebung, nur Dienstboten, die sich nicht um sie scherten, und die sich jetzt auch verliefen. Gleich würde sie allein vor dem Palas stehen, und Relana würde sie sicher bemerken, doch alles war besser, als sich wieder in die Frauengemächer geleiten und mit heißem Würzwein und womöglich noch ein paar Tropfen Mohnsirup ruhigstellen zu lassen!
Unauffällig folgte sie ein paar Mägden in Richtung Küchenhaus und wandte sich dann den Ställen zu. Sie konnte zu Sternvürbe fliehen und dort wenigstens etwas Ruhe zum Nachdenken finden. Wuff, der immer noch in den Ställen lebte, sprang zur Begrüßung an ihr hoch, und Amra streichelte ihn erfreut. Erst jetzt wurde ihr klar, wie sehr sie ihn vermisst hatte. Und auch Sternvürbe … Das gleichmäßige Kauen der Pferde und Rinder am Heu und das Rascheln des Strohbettes beruhigten Amra. Sie war immer gern bei den Tieren gewesen.
Ungesehen schlüpfte sie jetzt in das lange Stallgebäude, in dem die Pferde der Ritter untergebracht waren. Die Männer wohnten dem Tribunal im Palas bei, sie musste sich nicht sorgen, von einem von ihnen überrascht zu werden. Amra hatte vor, weiter in den Stall zu den Stuten zu gehen, doch dann hörte sie rhythmische Hammerschläge und nahm den charakteristischen Geruch verbrannten Hufhorns wahr. Verwunderlich war das nicht, in einem Seitenbereich der Ställe befand sich eine Schmiede. Amra hob den Kopf. Sie wollte gelassen vorbeigehen, als sie in dem Mann, der hier mit nacktem Oberkörper in festen Stiefeln und Lederschürze einen Pferdehuf bearbeitete, Heribert von Fulda erkannte!
»Herr Heribert!« Es wäre sicher besser gewesen, sich zurückzuziehen, aber Amras Verwunderung ließ sie den Ritter ansprechen. »Was macht Ihr denn hier? Ihr … beschlagt Euer Pferd selbst?« Amra wusste nicht, was verwirrender war – die Tatsache, dass ein Ritter sich herabließ, die Arbeit eines Handwerkers zu tun, oder Heriberts Verzicht auf die Teilnahme am Tribunal gegen Magnus. »Warum seid Ihr nicht im Palas?«
Heribert richtete sich auf. Er hatte eben sechs Nägel in den Huf seines Hengstes versenkt und ließ diesen jetzt herunter. Der Stallbursche, der ihm geholfen und den Huf aufgehalten hatte, streichelte das Pferd und machte Anstalten, es loszubinden. Der Ritter war offensichtlich fertig.
»Ich bin der zweite Sohn eines Landadligen«, erklärte Heribert gelassen. »Unser Gut warf gerade genug ab, um die Familie überleben zu lassen. Ein Dorf gehörte nicht zu unserem Lehen, also auch keine hörigen Handwerker und keine Schmiede. Wenn unsere Pferde beschlagen wurden, mussten wir dafür bezahlen. Also sah ich aufmerksam zu und lernte es selbst. Der Meister meinte, ich habe viel Talent. Wäre ich ein Bauernsohn gewesen, er hätte mich als Lehrling genommen.« Heribert lächelte freudlos. »Vielleicht wär’s mir besser bekommen. Als Schmiedemeister hätte ich mein Auskommen und längst Weib und Kind, statt mir ansehen zu müssen, wie sie meinen Freund hängen oder in einem aussichtslosen Kampf bis aufs Blut demütigen, bevor sie ihm die Gnade erweisen, ihn zu töten.«
Amra biss sich auf die Lippen. Ihre Gedanken rasten. Heribert … ein Schmied … Der junge Ritter löschte jetzt fachmännisch die Glut in der Esse.
»Ihr … glaubt also nicht an dieses Gottesurteil?«, fragte sie vorsichtig.
Heribert lachte. »Ob ich glaube, dass Gott Magnus morgen wie durch ein Wunder mit neuer Kraft erfüllen und siegreich in den Kampf schicken könnte? Oh, natürlich glaube ich das, Frau Amra. Gott ist allmächtig. Aber ich fürchte, er wird sich die Mühe nicht machen. Zumal Magnus ja nicht einmal unschuldig ist.«
»Ihr befindet ihn als schuldig?« Amra blitzte den jungen Ritter an. »Ihr meint, das sei gerecht? Er hätte mit ansehen sollen, wie man mich an diesen Niklot verkauft, diesen Räuber und Mörder, der mich schon einmal beinahe geschändet hätte und es in der Nacht vor der Hochzeit ein weiteres Mal versucht hat? Ihr meint, dass …«
»Ich meine, dass es ungeschickt war, in der Kirche die Waffe zu ziehen. Es hätte andere Möglichkeiten gegeben. Herr Niklot war ausreichend gereizt,
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