Die Geisel des Löwen: Historischer Roman (German Edition)
die Trauung auch sehr festlich. In Ermangelung anderer Riten küssten sich Magnus und Amra einfach vor der gesamten Gemeinde wie sonst im Kreise der Ritter. Sie tauschten Ringe, die Baruch ihnen geschenkt hatte, und anschließend segnete Vater Jozef sie ein. Amra jedenfalls strahlte und war wunderschön, als sie in einem einfachen Kleid aus ungefärbtem gewebtem Leinen vor den Altar der kleinen Kirche trat. Ein Kranz aus Beeren und immergrünen Zweigen, den Katica geflochten hatte, schmückte ihr Haar, das ihr in Wellen bis zur Hüfte fiel. Die Hebamme und Priesterin war eine kleine, bewegliche Frau, deren Gesicht vom Wetter gegerbt wirkte. Es war braun und faltig, umrahmt von noch vollem weißem Haar, das sie stets offen trug. Magnus warf ihr misstrauische Blicke zu – eine gute christliche Hebamme steckte ihr Haar auf und verbarg es unter einem schlichten Gebände –, aber Amra mochte Katica vom ersten Augenblick an ebenso wie ihre wunderschöne Tochter Danija.
»Komm zu uns, wenn du magst«, bot Katica Amra an, »und bring ein paar Eier mit oder ein Brot. Dann wird Danija für dich in den Spiegel des Sees blicken. Du willst doch wissen, wie deine Zukunft aussieht und die deines Kindes?«
Amra lächelte und versprach, vorbeizukommen. Katica und Danija lebten vom kargen Lohn der Hebamme und dem bisschen Gemüse, das sie selbst im Garten zogen, Amra wollte sie gern an ihren Wintervorräten teilhaben lassen. Aber sicher nahmen sie keine Almosen – Amra würde das Orakel also über sich ergehen lassen müssen, auch wenn sie nicht daran glaubte.
Schließlich musizierten, plauderten, lachten und tanzten die Dörfler bis zum frühen Morgen mit dem jungen Paar, und Amra redete die halbe Nacht mit ihrer Mutter Mirnesa, die Baruch natürlich mitgebracht hatte. Mirnesa weinte vor Freude, ihre Tochter endlich wiederzusehen, und schloss gleich auch Magnus in die Arme.
»Ihr kommt mich besuchen, wenn das Kind da ist, ja? Im Frühling, wenn die Straßen wieder gut passierbar sind.«
Baruch und Mirnesa hatten einen ganzen Tag für den Weg von Arkona zum Schwarzen See gebraucht, und der Rückweg sollte sich noch schwieriger gestalten, denn am Tag nach der Hochzeit begann es zu schneien.
Amra lächelte, als sie die Flocken fallen sah. Keinen Tag zu früh – jetzt sollte der Winter ruhig kommen. Sie hatte ihren Ofen, eine behagliche Stube und ein breites, warmes, mit Fellen und Kissen bedecktes Bett. Sehr viel Wohlstand für eine Bauernkate, doch darauf hatten sowohl Baruch als auch Magnus bestanden.
»Ich mag kein Ritter mehr sein, aber du bleibst trotzdem meine Prinzessin!«, erklärte Magnus.
»Und eine reiche Kaufmannstochter«, fügte Baruch lächelnd hinzu. »Pass nur gut auf meinen Enkel auf. Keine Stallarbeit mehr, Amra, überlass das deinem Ritter.«
»Es könnte eine Enkelin werden«, flüsterte Amra ihrer Mutter Mirnesa zu, die wissend lächelte.
Danija jedenfalls drückte sich erstaunlich klar aus, als Amra die Hebammen gleich am Tag nach der Hochzeit mit ihrer Mutter besuchte. Mirnesa hatte auf die Aussicht, das Orakel der Göttin befragen zu können, geradezu euphorisch reagiert.
»Es ist sicher nicht mehr erlaubt, aber gehen wir hin, Amra. Der Spiegel des Sees war immer hochgeachtet. Als ich mit dir gesegneten Leibes war, bin ich auch dort gewesen. Ach, damals diente der Göttin noch mehr als eine Priesterin, jetzt können wir Frauen uns ja allenfalls noch an die heilige Maria wenden, wenn wir Sorgen haben. Aber ob die sich in allem so auskennt? Eine Jungfrau?«
Amra pilgerte also mit ihrer Mutter zu dem winzigen Haus, das Katica und Danija im tiefsten Wald nahe des Schwarzen Sees bewohnten, zweifellos in Gesellschaft zahlreicher Hausgeister und Geburtsfeen, die sie zu Entbindungen mitbrachten. Katica hieß die Frauen herzlich willkommen und rief dann ihre Tochter.
»Ich bin zu alt, um in den Spiegel zu blicken«, sagte sie freundlich. »Aber Danija ist Jungfrau und will es noch lange bleiben. Geht einfach mit ihr, habt keine Angst.«
Danija, ein schmales, sehr zartes junges Mädchen mit riesigen dunklen Augen in einem gebräunten, von tiefschwarzem Haar umrahmten Gesicht, sah selbst aus wie eine Waldfee. Sie trug einen unscheinbaren braunen Kittel und lief trotz der Kälte auf nackten Füßen durch den Wald, so rasch und behände, dass Amra und Mirnesa ihr kaum zum See folgen konnten. Schließlich kniete sie an einer kleinen Bucht nieder – das Gewässer wurde hier von einer Quelle gespeist. Sie bat
Weitere Kostenlose Bücher