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Die Geisel

Titel: Die Geisel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Katz Krefeld
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bedingungslos zu lieben. Die beste Seite des Lebens kennenzulernen. Ihr Zuhause würde sich stets leer anfühlen. So wie sie selbst.
    Vielleicht hatte sie dazu beigetragen, aus der Stadt ihrer Kindheit einen sichereren Ort zu machen, aber der Preis, den sie dafür bezahlt hatte, war zu hoch gewesen.
    Sie trat ans Fenster. Die tief stehende Sonne blendete sie und nahm ihr die Sicht auf die Stadt. Sie ließ die Jalousien hinunter. Wäre Timmie lebend gefunden worden, würde sie jetzt vielleicht anders empfinden. Dann wäre der Verlust von Walther ein klein wenig leichter zu ertragen.
    Vor ein paar Tagen hatte sie sich die Facebook-Gruppe »Wer hat Timmie gesehen?« genauer angeschaut. Die Gruppe hatte inzwischen zwölftausend Mitglieder. So sehr diese Leute auch ihr Mitgefühl für die Eltern bekundeten, zweifelte sie doch daran, dass sich auch nur einer von ihnen in der realen Welt auf die Suche begeben hatte.
    Sie setzte sich wieder an ihren Schreibtisch. Als ihr Blick erneut auf die Titelseite der Zeitung fiel, wusste sie plötzlich, wo sie den Namen Dubowitz schon mal gelesen hatte. Er war einer der Patienten gewesen, auf die Claus bei seiner Suche im Zentralarchiv gestoßen war. Sie hatten ihn niemals verdächtigt, der Pan-Mörder zu sein, weil er zum Zeitpunkt der Morde im Gefängnis gesessen hatte.
    Maja schlug die Zeitung auf. Das grobkörnige Foto von Dubowitz stammte aus dem Polizeiarchiv. Mit seinen derben Zügen, den Tätowierungen am Hals und dem kahlgeschorenen Schädel machte er einen unheimlichen Eindruck. Die großen Silberringe, die er in beiden Ohren trug, ließen ihn wie einen grausamen Piraten aussehen. Sie stutzte über die Ironie des Schicksals. Was Søren in seinem Wahn am meisten befürchtet hatte, war tatsächlich eingetreten. Ob die beiden sich von früher gekannt hatten? Sie bezweifelte es. Søren war ein Einzelgänger gewesen, Dubowitz ein internationaler Verbrecher, der nicht aus dieser Gegend stammte.
    Trotz seines gefährlichen Aussehens fragte sich Maja, was für ein Motiv er gehabt haben könnte, Søren zu töten. So wie die anderen, die Claus herausgesucht hatte, war er einer von Thorbjørn Larsens Patienten gewesen. Er hatte unter den gleichen Bedingungen wie die übrigen Sexualverbrecher an der Gruppentherapie teilgenommen.
    Da es nur die Sicherungsanstalten waren, die mit der sexualmedizinischen Abteilung zusammenarbeiteten, musste die Behandlung von Dubowitz irgendwann abgebrochen worden sein, worauf man ihn in das Gefängnis des Präsidiums überstellt hatte. Der Abbruch der Therapie musste schwerwiegende Gründe gehabt haben. Vielleicht konnte Katrine ihr sagen, was vorgefallen war.
    Sie faltete die Zeitung zusammen und lehnte sich zurück. Natürlich war Søren von allen verabscheut worden, und sicher gab es viele, innerhalb und außerhalb des Gefängnisses, die es auf ihn abgesehen hatten. Waren seine Ängste doch dieser Realität entsprungen? Er hatte ja von einem äußeren Feind geredet, von einem Netzwerk, vor dem er die Jungen beschützen müsse. Sie und Katrine waren von ihrem Hass auf Søren so geblendet gewesen, dass sie seine Argumente ignoriert hatten. Bestenfalls hatten sie ihm nach dem Mund geredet, seine Worte aber zu keinem Zeitpunkt für bare Münze genommen. Für Katrine war er nichts als ein perverser Psychopath gewesen, der ein Spiel spielte. Sie selbst neigte Larsens Theorie zu, Søren wäre eine gespaltene Persönlichkeit, was auch seine unterschiedlichen Seiten erklären würde: Einerseits der gute Pan, der die Kinder befreite, andererseits der böse Hook, der sie tötete. Aber wenn es nun doch ganz anders war? Wenn Søren … Sie traute sich kaum, den Gedanken weiterzuspinnen … Wenn er nun doch die Wahrheit gesagt hatte. Dann gab es da draußen weiterhin eine Person, die den Mythos des furchterregenden Hook am Leben erhielt. Eine Person, die klug und einflussreich genug war, um nicht entdeckt zu werden. Und die so viel Macht besaß, Søren den Mund zu schließen, obwohl sich dieser in Sicherheitsverwahrung befunden hatte. Wenn es sich so verhielt, dann waren die Kinder dieser Stadt nach wie vor gefährdet.
    Sie kannte die Statistiken gut genug, um zu wissen, dass die wenigsten Sexualverbrechen aufgeklärt wurden. Keiner der Jungen, die Søren getötet hatte, waren den Behörden vorher bekannt gewesen. Dennoch hatten die Obduktionen deutliche Hinweise auf wiederholten sexuellen Missbrauch ergeben.
    Wenn Søren die Wahrheit gesagt hatte, mussten die

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