Die Geisel
die abgebrochene Kurbel ersetzte, die Scheibe hinunter.
Maja bückte sich ein wenig und schaute durch das offene Fenster. »Soll ich dich mitnehmen?«
Katrine antwortete nicht.
»Wir können es auch mit meinem Überbrückungskabel probieren«, schlug Maja vor.
»Warum bist du eigentlich hierher zurückgekommen? Wegen all der schönen Kindheitserinnerungen?«, fragte Katrine bitter.
Maja zuckte die Schultern. »Ich weiß es nicht mehr.«
»Dieser Ort war von Anfang an verfault. Hier haben sich schon immer die Kranken und Perversen herumgetrieben, und so wird es immer sein. Selbst auf deiner Seite der Umgehungsstraße. In eurem hübschen Villenviertel.«
Maja atmete tief durch und nickte. »Ein Grund mehr, um nach Timmie zu suchen.«
»Woher wusstest du das mit John?« Katrine hatte Tränen in den Augen.
Maja hatte es noch nie erlebt, dass Katrine sich verwundbar zeigte. »Ich hatte das erste Mal so einen Gedanken, als wir in Sørens Wohnung waren und du sagtest, man solle den ganzen Dreck dem Erdboden gleichmachen. Das hat sich sehr heftig angehört. Aber es schien dir wirklich ernst zu sein.«
Katrine nickte und sagte leise: »Ja, das war es auch.«
»Dann fielen mir die alten Gerüchte um Kaninchen-John ein. Dass damals jemand seinen Schrebergarten verwüstet hat. Bist du das gewesen?«
Katrine zog sich eine Zigarettenschachtel aus der Hosentasche und bot Maja eine an, doch die machte nur eine abwehrende Handbewegung. Katrine zündete sich eine Zigarette an und sog begierig den Rauch ein.
»Ich durfte daheim keine Haustiere haben, also war ich ständig bei John und seinen Kaninchen. Und bereits ziemlich am Anfang versprach er mir, dass ich mein eigenes Kaninchen kriegen würde, wenn es das nächste Mal Junge bekommt. Das war eine große Sache. Keines der anderen Kinder hatte damals ein eigenes Kaninchen. John sagte, ich würde eines kriegen, weil ich was ganz Besonderes wäre.«
Ihr Blick verhärtete sich. Sie wandte den Kopf ab und starrte in die Luft. Sie zog an der Zigarette, als wäre es die letzte ihres Lebens.
»Mein Kaninchen habe ich Wuschel genannt. Es war schwarz gemustert und hatte hängende Ohren. Es war ein Zwergwidder. Jeden Tag nach der Schule habe ich es besucht. Ich war total vernarrt in mein Kaninchen. Niemand sonst durfte es füttern oder berühren. Wuschel war mein Kaninchen. Nachdem ich Wuschel ein paar Wochen gehabt hatte, hat Lille Helle mich gerufen und gesagt, ich solle mal zu John reingehen.«
Katrine zog an der Zigarette und stieß den Rauch aus einem Mundwinkel aus. »Helle war ein paarmal in der Woche bei ihm drinnen. Normalerweise war sie immer total frech und hatte eine große Klappe, nur nicht, nachdem sie bei John gewesen war. Dann saß sie immer für sich allein, hatte ein Kaninchen auf dem Schoß und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Ich glaube, wir dachten damals, John würde Helle ausschimpfen, wenn sie bei ihm war. Deshalb hatte ich auch Angst, zu ihm reinzugehen.«
Ein bisschen Asche von Katrines Zigarette fiel ihr in den Schoß. Sie bürstete sie weg, ehe sie fortfuhr.
»Ich kann mich noch daran erinnern, dass er im hintersten Zimmer in einem abgenutzten Sessel saß. Es stank dort nach Urin. Er war betrunken, lallte ein bisschen und hatte glasige Augen. John fragte, ob ich Wuschel gern hätte und auch gut auf ihn aufpassen würde. Ich weiß noch, wie erleichtert ich war, dass er nicht mit mir schimpfte. Dann sagte er, ich solle mich bei ihm auf den Schoß setzen. Ich wollte zwar nicht, aber er bestand darauf. Also habe ich es getan, um ihm einen Gefallen zu tun. Schließlich hatte er mir ja Wuschel geschenkt.«
Katrine blickte zu Maja auf und drückte die Zigarette im Aschenbecher aus. »Du brauchst nicht mehr zu erzählen«, sagte Maja. »Ich hätte nie danach fragen sollen.«
»Ist schon okay.« Sie biss sich von innen in die Wangen, um ihre Tränen zurückzuhalten. »Ich kann immer noch den Gestank wahrnehmen … Nach Pisse, Schnaps und Schweiß.« Sie wischte rasch die Träne fort, die ihre Wange hinunterkullerte. »Er hielt meine Taille umfasst und rieb sich an mir. Obwohl wir beide angezogen waren, spürte ich den harten Klumpen zwischen seinen Beinen. Ich sagte, er solle mich loslassen, aber er meinte nur, ich solle mich nicht so anstellen. Wenn ich jetzt Schwierigkeiten mache, hat er gesagt, dann dürfte ich nicht mehr zu ihm kommen. Dann würde sich niemand mehr um Wuschel kümmern, und Wuschel würde sterben. Er öffnete seine Hose und rieb seinen
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