Die Geisel
versteckt.«
Katrine legte ihr behutsam den Arm um die Schultern. »Wenn das zu seinem Profil passen würde, könntest du mich eventuell überzeugen, aber Søren hat alle seine Opfer getötet, nachdem er sie entführt hatte. Nichts spricht dafür, dass er ein Nestbauer ist.«
»Ein Nestbauer? Wie meinst du das?«
»So nennen wir die Täter, die einen Kick bekommen, indem sie ihre Opfer eingesperrt halten. Aber so hat Søren nicht funktioniert.« Katrine lächelte sie verhalten an. »Ich muss jetzt leider gehen. Aber ich verspreche dir, die Sache zu prüfen und dir Bescheid zu geben.«
Maja sah ihr in die Augen. »Ich wünsche mir ein Haus so fein, das kleinste Haus auf Erden. Das soll mit seinem roten Dach mir eine Heimat werden … Das Lied ist aus Peter Pan. Søren hat es mir mal vorgesungen. Das Buch ist voller Beschreibungen irgendwelcher Verstecke. Ich bin mir sicher, dass wir auf eine konkrete Spur stoßen, wenn wir uns die Fahndungsunterlagen daraufhin noch mal genau anschauen.«
Katrine nahm den Arm von ihren Schultern. »In deinem eigenen Interesse solltest du endlich mit diesem Thema abschließen, Maja. Es ist nicht gesund, sich daran festzubeißen.«
Katrine drehte sich um und ging in Richtung Straße davon.
Maja wischte sich die Tränen von den Wangen. »Und wenn Timmie unsere Hilfe braucht?«
»Timmie ist tot«, sagte Katrine über ihre Schulter hinweg.
»Und wenn nicht?«
Katrine ging weiter, ohne zu antworten.
»Und was ist mit dir?«, rief Maja. »Wünscht du dir nicht immer noch, jemand hätte dir damals geholfen bei Kaninchen-John?«
Katrine blieb abrupt stehen. Dann machte sie auf dem Absatz kehrt und lief zu Maja zurück. »Was sagst du da?« Ihre fauchende Stimme und die kalten schwarzen Augen versetzten Maja zurück auf den Schulhof. »John, der … hinter der Schule wohnte«, stammelte sie.
»Woher kennst du den, verdammt?«, rief Katrine mit solcher Wucht, dass ihr Speichel Maja ins Gesicht flog.
»Ich weiß, dass du ihn mit ein paar anderen Mädchen besucht hast.«
»Und?«
Sie starrten einander an.
»Es gibt Gerüchte, dass dort … unschöne Sachen vorgefallen sind. Dass er sich an euch vergriffen hat.«
»Hab ich nichts von gehört«, entgegnete Katrine und blinzelte. Ihre offensichtliche Lüge provozierte Maja. »Und was ist mit Lille Helle, Maiken und Dorthe T.? Die sind doch auch zu Kaninchen-John gegangen.«
Katrine zuckte gleichgültig die Schultern. »Davon weiß ich nichts.«
»Ich sehe sie manchmal in meiner Praxis. Helle ist auf Methadon, Maiken landet immer wieder in der Psychiatrie, und von Dorte habe ich das letzte Mal gehört, als man ihr das Sorgerecht für ihre kleinen Mädchen entzogen hat.«
»Was soll ich dazu sagen? Das Leben in den Vororten ist eben kein Zuckerschlecken.«
»Es ist knallhart.« Maja kniff die Augen zusammen. »Vor allem, wenn dich gewisse Erlebnisse über Jahre belasten und an dir zehren. Wenn du niemanden hast, mit dem du darüber reden kannst. Wenn du nur einen Ausweg siehst, nämlich andere Leute zu quälen, die sich nicht wehren können. Auf dem Schulhof oder auf der Straße. Die zu bestrafen, die sich an der nächsten Generation vergreifen. Ist es nicht merkwürdig, ihren Schmerz zu spüren?«
»Halt die Schnauze!«, rief Katrine und stieß Maja mit solcher Kraft vor die Brust, dass Maja für einen Moment die Luft wegblieb. Sie wankte ein paar Schritte zurück, und Katrine folgte ihr. Instinktiv riss Maja die Arme hoch, weil sie sicher war, Katrine wolle sie schlagen. Aber der Schlag kam nicht. Stattdessen hielt ihr Katrine den gestreckten Zeigefinger vors Gesicht. »Halt einfach die Schnauze!«
Sie drehte sich um und stapfte zu den geparkten Autos. Maja spürte, wie der Stoff ihres Kleids an ihrem schwitzigen Rücken klebte. Ihre Beine zitterten unkontrolliert. Die Angst hatte ihren Mund ausgetrocknet.
Auf dem Parkplatz setzte sich Katrine in ihren Mitsubishi. Maja sah sie die Tür hinter sich zuschlagen. Ihr Versuch, Katrine zu überreden, war total gescheitert. Für einen Moment hörte sie das gequälte Husten eines Motors, der nicht anspringen wollte. Maja ging zum Parkplatz hinüber. Katrine unternahm einen weiteren Versuch, den Motor zu starten. Diesmal hörte man nur ein leises Klicken, dann war alles stumm.
Maja erreichte den Wagen und sah Katrine frustriert hinter dem Steuer sitzen. Sie klopfte leicht an die Scheibe. Katrine wandte ihr langsam den Blick zu. Dann kurbelte sie mithilfe des Schraubenziehers, der
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