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Die Geisel

Titel: Die Geisel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Katz Krefeld
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Woche hatte Stig für ein paar Stunden Nachtdienst. Er ging mit seinem Freund Jakob zusammen, der ein paar Häuser die Straße hinunter wohnte. Sie warf einen Blick auf die Uhr, er musste bald fertig sein. Für einen Moment zog sie in Erwägung, im Wagen sitzen zu bleiben, bis er zurückkam, aber dann verwarf sie diesen Gedanken.
    Als sie die Haustür aufschloss, spürte sie sofort die Zugluft. Stig musste eines der Fenster offen gelassen haben, denn im Haus war es angenehm kühl. Sie knipste das Licht im Wohnzimmer an und lächelte vor sich hin. Was für ein schönes Haus, das sie da gekauft hatten. Sie dachte, dass Walnuss sich hier sehr wohlfühlen würde, und vergaß die bedrückenden Gedanken während der Heimfahrt. Sie versprach sich, ihr ganzes Leben lang gut auf ihn aufzupassen, doch wollte sie ihn mit ihrer Fürsorge nicht ersticken, wie ihre Mutter es allzu oft getan hatte.
    Sie ging in die Küche und schmierte sich ein paar Nutellabrote. Es klingelte an der Tür. Das musste Stig sein. Sie warf einen Blick auf das hässliche Schlüsselbrett, das ihre Mutter ihnen zum Einzug geschenkt hatte, und stellte fest, dass er wieder mal vergessen hatte, seine Schlüssel mitzunehmen. Sie biss von ihrem Nutellabrot ab und trat auf den Flur. Manchmal kam es ihr so vor, als hätte sie bereits ein Kind.
    Maja öffnete die Tür.
    Draußen stand eine schmächtige Gestalt und hielt sich die Hand vor den Mund. Als der Mann die andere Hand auf Majas Gesicht zu bewegte, löste sich eine giftgrüne Flüssigkeit aus seinem Ärmel. Sie trat einen Schritt zurück. Die Flüssigkeit brannte in ihren Augen. Der scharfe Geschmack eines Medikaments stieg ihr in die Kehle. Als würden ihre Schleimhäute von klitzekleinen Glassplittern aufgeritzt. Sie versuchte, die Tür zuzuschlagen, doch ihre Hand griff am Türknauf vorbei. Ihre Sicht war verschwommen. Das Deckenlicht im Eingangsbereich schickte ihr messerscharfe Strahlen entgegen. Sie kniff die schmerzenden Augen zusammen. Sie öffnete den Mund und wollte um Hilfe rufen, doch sie konnte ihre eigene Stimme nicht hören. Mit wackligen Knien tastete sie nach dem Türrahmen. Als ihre Beine einknickten, packte der Fremde sie am Handgelenk und hielt sie aufrecht.
    »Hoppla«, sagte er munter. »Jetzt helfe ich dir ins Haus, Wendy.« Er hatte eine eigentümliche Aussprache, es klang eher wie Vendi.
    Ihr Körper gehorchte ihr nicht mehr. Ihre Arme hingen schlaff herunter, ihre Füße folgten ihr nur teilweise. Trotz seines schmächtigen Körperbaus war der Mann ungeheuer stark. Sie spürte seinen Griff um ihre Taille, als er sie ins Wohnzimmer manövrierte. Ihr Kopf hing ihr schwer auf die Brust. Sie versuchte, ihn zu heben, aber es war unmöglich. Der Speichel hing in langen Fäden aus ihrem Mund. Er trug sie zum Sofa, warf sie darauf und beugte sich über sie. Seine dünne Gestalt tanzte vor ihren Augen vor und zurück.
    »Weeendy!«, hörte sie ihn sagen. »Ich habe dich beobachtet.« Seine Stimme klang wie die dröhnenden Schläge einer Uhr. Sie versuchte, ihn klar zu erkennen, aber es gelang ihr nicht. Ihr Blick war wie ein Zoomobjektiv, das verrückt spielte. »Ich bin so froh, dass du zurückgekehrt bist. Du weißt nicht, wie viel das für mich bedeutet.«
    Sie schluckte ihren Speichel hinunter. War es er, den sie fürchtete? War es wirklich er, der in der Gegend Angst und Schrecken verbreitete? Sie versuchte, sich die Lippen zu befeuchten. Wollte etwas sagen.
    »Es war viel zu einsam, viel zu langweilig. Von den Jungen kann ja keiner Geschichten erzählen.« Er beugte sich über sie. »Und du kennst so viele Geschichten. Nicht wahr, Wendy?«
    Sie versuchte erneut etwas zu sagen. Ein Gurgeln drang aus ihrer Kehle. Das konnte nicht wahr sein, das durfte nicht geschehen. »Bitte … lassen … Sie … mich … gehen.«
    »Aber natürlich.« Er breitete die Arme aus. Seine Gestalt waberte vor ihren Augen. »Pan lässt dich gehen. Du bist frei wie ein Vogel, Wendy.«
    Er war es also. Der Pan-Mörder. Sie spürte, wie die Panik von ihr Besitz ergriff. Er war es, der die Kinder getötet, der Dennis in den Baum gehängt hatte. Er stand über ihr. Hatte sie mit irgendeinem Gift betäubt. Sie würde sterben. Das war alles, was ihr durch den Kopf ging. Sterben.
    »Sie irren sich … Ich bin nicht … Wendy.«
    Er ging vor ihr in die Knie. Sie roch seinen bitteren Atem. »Wenn du nicht Wendy bist, wer zum Teufel bist du dann?« Seine Stimme klang jetzt wie Donnergrollen. »Und was machst du

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