Die Geisel
Herzschlags ließen die Angst sofort verschwinden. Sie spürte ihn wieder. Stig stand von seinem Hocker auf und kam zu ihr. »Wie geht’s dir?«
Sie blickte zu ihm auf und lächelte. »Als wäre ich von einer Dampfwalze überrollt worden.«
Er küsste sie auf die schweißnasse Stirn.
»Wenn Sie sich erholt haben, würden wir gern eine Blut- und eine Urinprobe nehmen«, sagte die Ärztin.
Maja nickte. Sie kannte die obligatorischen Maßnahmen von ihrer Zeit auf der Unfallambulanz. Es waren die Maßnahmen, die bei Sexualdelikten getroffen wurden, bei denen der Verdacht bestand, dass K.o-Tropfen eingesetzt wurden. Etwaige Spuren sollten so schnell wie möglich gesichert werden, und die Krankenschwester hatte auf dem Rolltisch bereits alles vorbereitet. Sobald sie dazu in der Lage war, sollte Maja eine Urinprobe abgeben. Sämtliche Proben würden daraufhin zum Rechtsmedizinischen Institut geschickt und binnen vierundzwanzig Stunden analysiert und auf verschiedenste Stoffe hin untersucht. In ihrem Fall würde sicher das komplette Programm abgespult werden. Sie wusste nicht, womit sie vergiftet worden war, ob mit Liquid Ecstasy oder irgendeiner anderen Substanz. Sicherlich würden sie auch sogenannte Analgetika finden: schmerzstillende Mittel, die auch betäubende Wirkung haben konnten. Welche Substanz er benutzt hatte, um sie zu lähmen, wusste sie nicht. Doch angesichts der raschen Wirkung handelte es sich vermutlich um irgendein Nervengift.
»Zur Beobachtung behalten wir Sie über Nacht hier«, sagte die Ärztin. »Auch die Polizei möchte sich so schnell wie möglich mit Ihnen unterhalten.«
Maja nickte.
Draußen auf dem Gang waren Stimmen zu hören. Die eine gehörte Polizeirätin Katrine Bergman.
Katrine Bergman betrat den Raum gemeinsam mit Kriminalkommissar Tom Schæfer. Ihr Blick verriet, wie angespannt sie war. Sie trat direkt an Majas Bett, ohne das Krankenhauspersonal oder Stig eines Blickes zu würdigen. Dann tat sie etwas, das sie selten tat - sie lächelte. »Bist du okay? Ich meine, den Umständen entsprechend.«
Maja nickte. »Den Umständen entsprechend.«
»Wir müssen unbedingt wissen, was passiert ist. Bist du jetzt in der Lage, uns das zu erzählen?«
»Ich werd’s versuchen«, entgegnete Maja.
Katrine zog ein kleines Notizbuch aus der Innentasche ihrer schwarzen Lederjacke. Maja bat um ein Glas Wasser, die Krankenschwester reichte ihr einen kleinen Pappbecher. Das kalte Wasser schnitt ihr in die Kehle, sie gab der Krankenschwester den Becher zurück. Dann erzählte sie in groben Zügen, was passiert war.
»Kanntest du ihn?«, fragte Katrine.
»Nein, ich habe ihn nie zuvor gesehen.«
»Kannst du uns eine Beschreibung geben?«
Maja zögerte. »Er war nicht besonders groß, sehr schmächtig. Ich glaube, er trug eine Windjacke.«
»Kannst du seine Gesichtszüge beschreiben?«
Maja schüttelte den Kopf. »Nein, er hielt sich die Hand vors Gesicht, ehe er mir dir Flüssigkeit ins Gesicht gespritzt hat. Danach konnte ich nicht mehr klar sehen.«
»Irgendwelche besonderen Kennzeichen? Tätowierungen?« Katrine trommelte mit ihrem Kugelschreiber auf die Seite ihres aufgeschlagenen Notizbuchs.
»Nein, nicht dass ich wüsste.«
»Erzähl einfach weiter.«
Maja räusperte sich. »Der Stoff, den er mir ins Gesicht gespritzt hat, hat mich sofort betäubt. Ich konnte mich kaum noch bewegen.«
»Kam er zu dir ins Haus?«
»Ja, aber ich weiß nicht richtig, wie das passiert ist. Das Nächste, woran ich mich erinnern kann, ist, dass ich auf dem Sofa lag und mich nicht mehr rühren konnte.«
»Wo war er?«
»Er war irgendwie um mich herum … Ich war total groggy.«
»Was ist dann passiert?«
Maja seufzte. »Er hat mir seltsame Dinge erzählt. Dass er Peter Pan sei und ich Wendy und dass ich ihn nach Nimmerland begleiten solle. Dort sollten wir auf irgendwelche Jungen aufpassen.«
»Er sagte, er sei Peter Pan?«
»Ja.«
Katrine machte sich ein paar Notizen. »Und danach?«
Maja fühlte sich elend. Ihr Herz begann zu rasen, und ihr brach das kalte Schweiß aus. »Er … Er hat sich auf mich gestürzt.« Sie griff sich unwillkürlich an den Hals.
Katrines Blick verdüsterte sich. »Hat er das getan?« Sie zeigte auf die Würgemale, die sich wie ein violettes Band um Majas Hals schlossen.
»Ja. Als ich sagte, dass ich nicht Wendy bin, ist er total wütend geworden und hat mir die Luft abgedrückt.«
»Hat er dich geschlagen?«
»Nein, aber ich war von dieser Flüssigkeit völlig
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