Die Geisha - Memoirs of a Geisha
kleidete ich mich an, und Mameha führte mich zu der Okiya, in der sie gelebt hatte, ehe sie vor sechs Jahren ihre Unabhängigkeit gewann. An der Tür wurden wir von einer ältlichen Dienerin begrüßt, die mit der Zunge schnalzte und bedauernd den Kopf schüttelte.
»Wir haben vorhin das Krankenhaus angerufen«, sagte sie. »Der Doktor geht heute um vier Uhr nach Hause. Und jetzt ist es schon fast halb vier.«
»Wir werden ihn anrufen, bevor wir aufbrechen, Kazuko-san«, erwiderte Mameha. »Ich bin sicher, daß er auf uns warten wird.«
»Na hoffentlich. Wäre doch schlimm, das arme Mädchen weiterbluten zu lassen.«
»Wer blutet?« erkundigte ich mich besorgt, aber die Dienerin warf mir nur seufzend einen Blick zu und führte uns die Treppe hinauf in einen engen, kleinen Flur im ersten Stock. In dem Raum, der so groß wie zwei Tatami-Matten war, befanden sich nun nicht nur Mameha und ich sowie die Dienerin, die uns heraufgeführt hatte, sondern noch drei andere junge Frauen und eine große, dünne Köchin mit frisch gestärkter Schürze. Sie alle musterten mich aufmerksam – bis auf die Köchin, die sich ein Handtuch über die Schulter legte und eins jener Messer zu wetzen begann, mit dem man Fischen den Kopf abschneidet. Ich kam mir vor wie ein Stück Thunfisch, das der Händler gerade geliefert hat, denn jetzt wurde mir endlich klar, daß ich es war, die hier bluten würde.
»Mameha-san…«, begann ich.
»Hör zu, Sayuri, ich weiß genau, was du sagen willst«, fiel sie mir ins Wort, und das war interessant, weil ich es selbst noch nicht wußte. »Bevor ich deine ältere Schwester wurde – hast du da nicht versprochen, alles zu tun, was ich von dir verlange?«
»Wenn ich gewußt hätte, daß das bedeutet, mir die Leber aus dem Leib schneiden zu lassen…«
»Niemand wird dir die Leber herausschneiden«, sagte die Köchin in einem Ton, der mich beruhigen sollte, aber nicht konnte.
»Wir werden dir die Haut nur ein bißchen ritzen«, erklärte Mameha. »Nur ein winziger Schnitt, damit du ins Krankenhaus gehen und einen gewissen Arzt kennenlernen kanst. Du erinnerst dich doch an den Mann, von dem ich gesprochen habe, nicht wahr? Er ist Arzt.«
»Kann ich nicht einfach so tun, als hätte ich Bauchschmerzen?«
Es war mir wirklich ernst damit, doch alle schienen zu denken, ich hätte einen Scherz gemacht, denn alle lachten, sogar Mameha.
»Aber Sayuri, wir wollen alle nur dein Bestes«, versicherte sie mir. »Wir müssen nur dafür sorgen, daß du ein bißchen blutest, gerade eben so viel, daß der Doktor sich bereit erklärt, dich zu behandeln.«
Inzwischen hatte die Köchin das Messer gewetzt und kam so gelassen zu mir herüber, als wollte sie mir beim Schminken helfen – nur daß sie dieses verflixte Messer schwang. Kazuko, die ältliche Dienerin, die uns heraufgebracht hatte, schob mit beiden Händen meinen Kragen auseinander. Ich spürte, wie Panik in mir aufstieg, aber zum Glück mischte sich jetzt Mameha ein.
»Wir werden sie am Bein schneiden«, sagte sie.
»Nicht am Bein«, widersprach Kazuko. »Am Hals ist es viel erotischer.«
»Sayuri, bitte dreh dich um und zeig Kazuko das Loch hinten in deinem Kimono«, wies Mameha mich an. Als ich gehorchte, fuhr sie fort: »Also, Kazuko-san, wie sollen wir diesen Riß hinten in ihrem Kimono erklären, wenn sich der Schnitt am Hals befindet statt am Bein?«
»Was hat das eine mit dem anderen zu tun?« fragte Kazuko. »Sie trägt einen zerrissenen Kimono, und sie hat einen Schnitt am Hals.«
»Ich weiß nicht, was Kazuko da redet«, sagte die Köchin. »Sagen Sie mir einfach, wo ich sie schneiden soll, Mameha-san, und ich werde sie schneiden.«
Ich hätte bestimmt erfreut sein sollen, als ich das hörte, aber irgendwie gelang mir das nicht so ganz.
Mameha schickte eine der jungen Dienerinnen los, um einen Farbstift zu holen, wie man sie zum Schminken der Lippen benutzt. Sie steckte ihn durch das Loch in meinem Kimono und zeichnete schnell eine Markierung oben und hinten auf meinem Schenkel.
»Genau da mußt du schneiden«, erklärte Mameha der Köchin.
Ich machte den Mund auf, aber bevor ich etwas äußern konnte, sagte Mameha zu mir: »Du legst dich hin und bist still, Sayuri. Wenn du uns noch länger aufhältst, werde ich wirklich sehr böse werden!«
Wenn ich sage, ich hätte ihr gern gehorcht, müßte ich lügen, aber mir blieb natürlich keine Wahl. Also legte ich mich auf ein Laken, das auf dem Holzfußboden ausgebreitet wurde, und schloß
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