Die Geisha - Memoirs of a Geisha
die Augen, während Mameha meinen Kimono so hochschob, daß ich fast bis zur Hüfte entblößt war.
»Denk daran: Sollte der Schnitt nicht tief genug sein, kannst du ihn jederzeit tiefer machen«, sagte Mameha. »Am besten fängst du mit dem leichtesten Schnitt an, den du machen kannst.«
Als ich die Messerspitze spürte, biß ich mich auf die Lippe. Ich fürchte sogar, daß ich auch einen kleinen Schrei ausgestoßen habe, obwohl ich mir wirklich nicht sicher bin. Wie dem auch sei, ich spürte einen Druck, und dann sagte Mameha:
»Aber doch nicht so leicht! Du hast ja kaum die oberste Hautschicht geritzt!«
»Es sieht aus wie ein Mund«, sagte Kazuko zu der Köchin. »Du hast einen Strich in die Mitte eines roten Flecks gezogen, und das sieht aus wie ein Mund. Der Doktor wird lachen.«
Mameha stimmte ihr zu, und nachdem die Köchin ihr bestätigt hatte, daß sie die Stelle wiederfinden würde, wischte sie den Schminkfleck weg. Gleich darauf spürte ich wieder den Druck des Messers.
Ich habe Blut noch nie sehen können. Vielleicht erinnern Sie sich, wie ich ohnmächtig wurde, als ich mir an dem Tag, an dem ich Herrn Tanaka kennenlernte, die Lippe verletzt hatte. Nun, dann können Sie sich vermutlich auch vorstellen, was ich empfand, als ich mich umdrehte und sah, daß mir ein Blutfaden am Bein herunterrann und in einem Handtuch versickerte, das Mameha an die Innenseite meines Schenkels preßte. Als ich das sah, bekam ich solche Zustände, daß ich mich ab da an nichts mehr erinnere: weder daran, wie man mir in die Rikscha half, noch an die Fahrt selbst – bis wir uns dem Krankenhaus näherten und Mameha meinen Kopf von einer Seite zur anderen drehte, um meine Aufmerksamkeit zu wecken.
»Jetzt hör mir mal gut zu, Sayuri! Du hast bestimmt immer wieder gehört, daß deine Aufgabe als Lerngeisha darin besteht, auf andere Geishas einen guten Eindruck zu machen – denn die sind es, die dir bei deiner Karriere helfen – und dich nicht darum zu kümmern, was die Männer von dir halten. Also, das kannst du von nun an ruhig vergessen! In deinem Fall funktioniert das nicht. Wie schon gesagt, deine Zukunft hängt von zwei Männern ab, und einen von ihnen wirst du gleich kennenlernen. Du mußt unbedingt den richtigen Eindruck auf ihn machen. Hast du gehört?«
»Ja, Herrin, jedes Wort«, murmelte ich.
»Wenn man dich fragt, wie du dir das Bein verletzt hast, antwortest du, du seist im Kimono ins Bad gegangen und auf etwas Scharfes gefallen. Was das war, weißt du nicht, weil du ohnmächtig geworden bist. Denk dir alle möglichen Einzelheiten aus, aber achte darauf, daß du sehr kindlich klingst! Und wenn wir hineingehen – gib dich hilflos! Laß mich sehen, wie du das machst.«
Nun ja, ich legte den Kopf in den Nacken und verdrehte die Augen. Vermutlich entsprach es genau dem, was ich in dem Augenblick empfand, aber Mameha war alles andere als angetan davon.
»Hilflos habe ich gesagt, nicht totstellen! Etwa so…«
Mameha machte eine benommene Miene, als könnte sie sich nicht entscheiden, worauf sie ihren Blick richten sollte, und legte ihre Hand an die Wange, als fühlte sie sich sehr schwach. Dann forderte sie mich auf, diese Geste so lange zu wiederholen, bis sie zufrieden war. Ich begann mit meiner Vorstellung, als der Kuli mir bis an den Krankenhauseingang half. Mameha ging neben mir her und zupfte an meinem Kimono herum, weil sie sicher sein wollte, daß ich trotz allem attraktiv wirkte.
Wir traten durch die hölzerne Pendeltür und fragten nach dem Leiter des Krankenhauses, der uns, wie Mameha erklärte, bereits erwarte. Schließlich führte uns eine Krankenschwester einen langen Korridor entlang bis zu einem verstaubten Raum mit einem Holztisch und einem schlichten Wandschirm vor den Fenstern. Während wir warteten, nahm Mameha das Handtuch ab, das sie mir ums Bein gebunden hatte, und warf es in einen Abfallkorb.
»Vergiß nicht, Sayuri«, zischelte sie mir zu, »wir wollen, daß der Doktor dich so unschuldig und hilflos wie möglich erlebt. Leg dich hin und versuche, schwach auszusehen.«
Das bereitete mir keinerlei Schwierigkeiten. Gleich darauf ging die Tür auf, und Dr. Krebs kam herein. Natürlich hieß er nicht wirklich Dr. Krebs, aber wenn Sie ihn gesehen hätten, wäre Ihnen bestimmt derselbe Name in den Sinn gekommen, denn er hatte die Schultern hochgezogen, und seine Ellbogen standen so weit nach außen, daß er auch keine bessere Imitation eines Krebses hingekriegt hätte, wenn er es
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