Die Geisha - Memoirs of a Geisha
Dienerin.
»Tatsumo-san«, sagte ich, »etwas sehr Ärgerliches… Dieser Kimono ist ruiniert.«
»Er ist nicht ruiniert, Fräulein. Er muß nur repariert werden, weiter nichts. Die Herrin hat ihn sich heute morgen von einer Okiya weiter unten an der Straße ausgeborgt.«
»Wahrscheinlich hat sie es nicht gemerkt«, sagte ich. »Und bei meinem Ruf als Kimono-Ruiniererin wird sie denken…«
»O nein, sie weiß, daß er zerrissen ist«, fiel Tatsumo mir ins Wort. »Das Unterkleid ist auch zerrissen, und zwar an der gleichen Stelle.« Das cremefarbene Unterkleid hatte ich bereits angelegt, und als ich nach hinten griff und an meinem Schenkel herumtastete, stellte ich fest, daß Tatsumo recht hatte.
»Letztes Jahr ist eine Lerngeisha versehentlich an einem Nagel hängengeblieben«, erklärte mir Tatsumo. »Aber die Herrin hat ausdrücklich befohlen, daß Sie den Kimono anziehen sollen.«
Das klang für mich ziemlich unlogisch, aber ich tat, was Tatsumo sagte. Als Mameha schließlich hereingeeilt kam, fragte ich sie danach, während sie ihr Make-up auffrischte.
»Ich hatte dir doch gesagt«, begann sie, »daß nach meinem Plan zwei Männer für deine Zukunft wichtig sein werden. Nobu hast du vor ein paar Wochen kennengelernt. Der andere Mann war bis jetzt verreist, aber mit Hilfe dieses zerrissenen Kimonos wirst du ihn gleich kennenlernen. Dieser Sumo-Ringer hat mich auf eine ganz wundervolle Idee gebracht! Ich kann’s kaum abwarten, bis ich sehe, wie Hatsumomo reagiert, wenn du von den Toten auferstehst. Weißt du, was sie neulich zu mir gesagt hat? Sie könne mir gar nicht genug danken dafür, daß ich dich zu dem Turnier mitgenommen habe. Die ganze Mühe, dorthin zu gelangen, habe sich gelohnt, behauptete sie, als sie gesehen habe, wie du ›Herrn Eidechse‹ schöne Augen gemacht hast. Ich bin überzeugt, daß sie dich in Ruhe lassen wird, wenn du ihn unterhältst. Sie wird höchstens kurz vorbeischauen, um sich mit eigenen Augen davon zu überzeugen. Ja, je mehr du in ihrer Gegenwart von Nobu sprichst, desto besser – nur den Mann, den du heute nachmittag kennenlernst, darfst du mit keinem Wort erwähnen.«
Als ich das hörte, begann ich mich innerlich ganz elend zu fühlen, dennoch versuchte ich verzweifelt, Freude über ihre Worte vorzutäuschen. Sie müssen wissen, daß kein Mann jemals eine intime Beziehung mit einer Geisha beginnen wird, welche die Geliebte eines nahen Bekannten war. Vor einigen Monaten hatte ich in einem Badehaus gehört, wie eine junge Frau eine andere Geisha zu trösten versuchte, die soeben erfahren hatte, daß ihr danna bald der Geschäftspartner des Mannes wäre, von dem sie träumte. Als ich die beiden damals beobachtete, wäre ich nie auf die Idee gekommen, daß ich eines Tages in die gleiche Lage geraten würde.
»Herrin«, sagte ich, »darf ich Sie etwas fragen? Gehört es zu Ihrem Plan, daß Nobu-san eines Tages mein danna wird?«
Statt einer Antwort ließ Mameha ihren Make-up-Pinsel sinken und starrte mich im Spiegel mit einem Blick an, der mit Sicherheit einen Eisenbahnzug hätte stoppen können. »Nobu-san ist ein großartiger Mann. Willst du andeuten, du würdest dich schämen, wenn er dein danna wäre?« fragte sie mich.
»Nein, Herrin, so habe ich es nicht gemeint. Ich frage mich nur…«
»Nun gut. Dann möchte ich dir zwei Dinge sagen. Erstens: Du bist ein vierzehnjähriges Mädchen ohne den geringsten Ruf. Du darfst dich wirklich sehr glücklich schätzen, wenn du jemals eine Geisha mit einem solchen Status wirst, daß ein Mann wie Nobu in Erwägung zieht, sich dir als dein danna anzubieten. Zweitens: Nobu-san hat bisher noch keine Geisha gefunden, die ihm gut genug gefiel, um sie sich zur Geliebten zu nehmen. Wenn du die erste sein solltest, erwarte ich von dir, daß du dich überaus geschmeichelt fühlst!«
Ich errötete so sehr, daß mein Gesicht sich anfühlte, als hätte es Feuer gefangen. Mameha hatte durchaus recht; was immer in den vor mir liegenden Jahren auch aus mir werden würde – ich konnte von Glück sagen, wenn ich die Aufmerksamkeit eines Mannes wie Nobu erregte. Und wenn Nobu schon außerhalb meiner Reichweite war, wie unerreichbar mußte dann für mich erst der Direktor sein? Seit ich ihn beim Sumo-Turnier wiedergesehen hatte, waren mir alle erdenklichen Möglichkeiten, die mir das Leben bieten mochte, durch den Kopf gegangen. Nach Mamehas Worten kam ich mir nun vor, als müßte ich durch ganze Meere des Leidens waten.
In aller Eile
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