Die Geisha - Memoirs of a Geisha
gründlich einstudiert hätte. Beim Gehen schob er sogar die eine Schulter vor – genau wie ein Krebs, der sich seitwärts fortbewegt. Er trug einen Schnurrbart und war hocherfreut, Mameha zu sehen, obwohl er das eher durch einen überraschten Ausdruck in den Augen kundtat als durch ein Lächeln.
Dr. Krebs war ein methodischer, ordentlicher Mann. Als er die Tür schloß, drehte er zuerst den Knauf, damit das Schloß kein Geräusch machte, und drückte die Tür dann noch einmal zu, um sicherzugehen, daß sie auch wirklich geschlossen war. Anschließend zog er ein Etui aus der Jackentasche und öffnete es so behutsam, als versuchte er, nichts von seinem Inhalt zu verschütten, doch es enthielt nur eine weitere Brille. Als er sie gegen die Brille, die er trug, ausgetauscht hatte, steckte er das Etui wieder in die Tasche zurück und strich sein Jackett mit den Händen glatt. Schließlich spähte er zu mir herüber und nickte andeutungsweise, woraufhin Mameha sagte:
»Es tut mir leid, daß wir Sie belästigen, Doktor. Aber Sayuri hat eine so strahlende Zukunft vor sich, und nun hat sie das Pech gehabt, sich am Bein zu verletzen! Und angesichts eventueller Narben und Infektionen und so weiter, nun ja, da dachte ich, daß Sie der einzige Mensch sind, der sie richtig behandeln kann.«
»Ganz recht«, gab Dr. Krebs zurück. »Dürfte ich jetzt vielleicht einen Blick auf die Verletzung werfen?«
»Ich fürchte, Sayuri wird schwach, wenn sie Blut sieht, Doktor«, sagte Mameha. »Vermutlich ist es am besten, wenn sie sich einfach abwendet und Ihnen gestattet, die Wunde selbst zu untersuchen. Sie befindet sich auf der Rückseite des Oberschenkels.«
»Ich verstehe. Vielleicht bittest du sie mal, sich bäuchlings auf den Untersuchungstisch zu legen.«
Ich begriff nicht, warum Dr. Krebs mich nicht selbst dazu auffordern konnte, aber um gehorsam auf ihn zu wirken, wartete ich, bis ich die Worte aus Mamehas Mund hörte. Dann schob der Doktor meinen Kimono fast bis zu den Hüften empor und holte ein Stück Stoff sowie eine übelriechende Flüssigkeit, die er mir auf den Schenkel rieb. Dann sagte er: »Sayuri-san, sei bitte so freundlich und erkläre mir, wie diese Wunde entstanden ist.«
Ich holte übertrieben tief Luft, tat also immer noch mein Bestes, um so schwach wie möglich auf ihn zu wirken. »Nun, es macht mich ein wenig verlegen«, begann ich, »aber ich war… also, ich habe heute nachmittag ziemlich viel Tee getrunken…«
»Sayuri hat gerade mit ihrer Ausbildung begonnen«, erklärte Mameha, »und ich versuche, sie überall in Gion einzuführen. Natürlich wurde sie von allen Männern zum Tee eingeladen.«
»Das kann ich mir vorstellen«, gab der Doktor zurück.
»Auf jeden Fall«, fuhr ich fort, »hatte ich plötzlich das Gefühl, ich müsse… nun ja, Sie wissen schon…«
»Übermäßiger Teegenuß kann zu einem starken Drang führen, die Blase zu entleeren«, stellte der Doktor fest.
»Ich danke Ihnen. Eigentlich ist… nun ja, ›starker Drang‹ weit untertrieben, denn ich fürchtete, daß mir jeden Moment alles gelb vorkommen würde, wenn Sie wissen, was ich meine…«
»Erzähl dem Doktor einfach, was geschehen ist, Sayuri«, mahnte Mameha.
»Es tut mir leid«, sagte ich höflich. »Ich wollte nur sagen, daß ich sehr dringend die Toilette aufsuchen mußte… so dringend, daß ich, als ich sie schließlich erreichte… nun ja, ich kämpfte mit meinem Kimono und muß dabei das Gleichgewicht verloren haben. Als ich dann fiel, bin ich mit dem Bein auf etwas Scharfes gestoßen. Ich habe keine Ahnung, was das war. Ich glaube, ich bin ohnmächtig geworden.«
»Ein Wunder, daß du nicht deine Blase entleert hast, als du das Bewußtsein verlorst«, warf der Doktor ein.
Ich hatte die ganze Zeit über auf dem Bauch gelegen, mein Gesicht aus Angst, mein Make-up zu zerstören, möglichst hoch gehalten und geredet, während der Doktor auf meinen Hinterkopf blickte. Als Dr. Krebs jedoch die letzte Bemerkung machte, versuchte ich über die Schulter zu Mameha zu schielen. Zum Glück konnte sie schneller denken als ich, denn sie sagte:
»Sayuri will sagen, daß sie das Gleichgewicht verlor, als sie sich aus der Hockstellung zu erheben versuchte.«
»Ich verstehe«, sagte der Doktor. »Der Schnitt stammt von einem sehr scharfen Gegenstand. Bist du vielleicht auf Glasscherben gefallen? Oder auf ein Stück Metall?«
»Es hat sich wirklich sehr scharf angefühlt«, sagte ich. »So scharf wie ein Messer.«
Dr. Krebs
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