Die Geisha - Memoirs of a Geisha
aufflammen.
»Ach, das ist gar nicht schlecht«, sagte Mameha. »Diese Frau wird erst dann besiegt sein, wenn Blut fließt. Und das ist noch nicht passiert. Geben wir ihr eine kleine Chance und warten wir ab, was sie sich diesmal wieder einbrockt.«
Früh am folgenden Morgen kam Tantchen in der Okiya in den ersten Stock, um die Regeln für das Umräumen unserer Habseligkeiten festzulegen. Als erstes führte sie mich in Hatsumomos Zimmer und verkündete, daß eine bestimmte Ecke von nun an mir gehöre; dort dürfe ich alles hinräumen, was ich wollte, und kein anderer dürfe es berühren. Dann führte sie Hatsumomo und Kürbisköpfchen ins kleinere Zimmer und richtete ihnen dort eine entsprechende Ecke ein. Sobald wir alle unsere Sachen umgeräumt hatten, wäre der Tausch vollzogen.
Noch am selben Nachmittag machte ich mich ans Werk und schleppte meine Sachen über den Flur. Ich wünschte, ich könnte behaupten, eine ähnliche Kollektion schöner Dinge angesammelt zu haben, wie es Mameha in meinem Alter vermutlich geschafft hatte, aber die Lage hatte sich gravierend verändert. Die Militärregierung hatte vor kurzem Kosmetika und Dauerwellen als Luxusartikel verboten, obwohl wir in Gion, die wir das Spielzeug der Mächtigen waren, immer noch mehr oder weniger taten, wozu wir Lust hatten. Da großzügige Geschenke inzwischen fast völlig unüblich geworden waren, hatte ich im Laufe der Jahre nicht mehr zusammengetragen als ein paar Schriftrollen, Tuschreibsteine und Schalen sowie eine Sammlung von Doppelbildern berühmter Panoramen mitsamt einem wundervollen Stereoskop aus Sterlingsilber, das mir der Kabuki-Schauspieler Onoe Yoegoro XVII. geschenkt hatte. Jedenfalls trug ich all diese Dinge – zusammen mit meinen Schminkutensilien, der Unterwäsche, den Büchern und Zeitschriften –über den Flur und stapelte sie in der Zimmerecke. Hatsumomo und Kürbisköpfchen hatten jedoch selbst am Abend des folgenden Tages noch nicht damit begonnen, ihre Sachen umzuräumen. Als ich zur Mittagszeit des dritten Tages von der Schule nach Hause ging, faßte ich den Entschluß, wenn Hatsumomos Flaschen und Salben immer noch den gesamten Schminktisch füllten, zu Tantchen zu gehen und sie um Hilfe zu bitten.
Als ich die Treppe hinaufgestiegen war, sah ich zu meiner Überraschung, daß sowohl Hatsumomos als auch meine Tür offenstanden. Auf dem Fußboden im Flur lag ein zerbrochener Topf mit weißer Salbe. Irgend etwas schien nicht zu stimmen, und als ich mein Zimmer betrat, erkannte ich sofort, was los war: Hatsumomo saß an meinem kleinen Tisch, trank, wie es schien, aus einem kleinen Glas Wasser – und las ein Notizbuch, das mir gehörte!
Von den Geishas wird erwartet, daß sie im Hinblick auf die Männer, die sie kennen, äußerste Diskretion bewahren, daher werden Sie sich vielleicht darüber wundern, daß ich vor mehreren Jahren, als ich noch Lerngeisha war, einmal ein Schreibwarengeschäft aufgesucht und mir ein wunderschönes Buch mit leeren Seiten gekauft hatte, um Tagebuch zu führen. Natürlich war ich nicht so töricht, Dinge niederzuschreiben, die eine Geisha niemals verraten darf. Ich schrieb lediglich über meine Gedanken und Gefühle. Wenn ich etwas über einen bestimmten Mann zu sagen hatte, gab ich ihm einen anderen Namen. Nobu nannte ich zum Beispiel »Herr Tsu«, denn manchmal stieß er mit dem Mund kleine, verächtliche Geräusche aus, die wie »Tsu!« klangen. Der Direktor war bei mir »Herr Haa«, weil er bei einer Gelegenheit ganz tief Luft geholt und sie dann mit einem Geräusch wieder ausgestoßen hatte, das wie »Haa« klang; in dem Moment hatte ich mir gerade vorgestellt, neben ihm aufzuwachen, so daß es einen besonders starken Eindruck auf mich gemacht hatte. Nie wäre ich auf die Idee gekommen, daß irgend jemand lesen würde, was ich in diesem Tagebuch niedergeschrieben hatte!
»O Sayuri, wie schön, daß du kommst!« sagte Hatsumomo. »Ich wollte dir sagen, wieviel Freude es mir macht, in deinem Tagebuch zu lesen. Manche Eintragungen sind wirklich äußerst interessant… Und dein Stil – wirklich bezaubernd! Von deiner Kalligraphie bin ich zwar nicht besonders begeistert, aber…«
»Haben Sie zufällig das interessante Wort gelesen, das ich auf die Titelseite geschrieben habe?«
»Ich glaube nicht. Moment mal…›Geheim‹. Nun, das ist ein Paradebeispiel für das, was ich soeben über deine Schönschrift sagte.«
»Bitte, legen Sie das Buch auf den Tisch, Hatsumomo, und verlassen Sie das
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