Die Geisha - Memoirs of a Geisha
Chauffeur ihm seine Tasche. Ich blieb im Licht einer Laterne stehen und stieß einen kleinen, überraschten Laut aus, der Freude signalisieren sollte. Und wie ich es mir erhofft hatte, blickte Nobu in meine Richtung.
»Sieh an!« sagte er. »Man vergißt, wie hübsch eine Geisha aussehen kann.« Er sagte es so beiläufig, daß ich mich unwillkürlich fragte, ob er mich erkannt hatte.
»Nun, Herr, Sie hören sich an wie mein alter Freund Nobu-san«, sagte ich, »aber der können Sie nicht sein, denn ich hatte den Eindruck, daß er gänzlich aus Gion verschwunden ist.«
Während der Chauffeur den Wagenschlag schloß, blieben wir schweigend stehen, bis das Automobil verschwunden war.
»Ich bin sehr erleichtert, Nobu-san endlich wiederzusehen!« fuhr ich dann fort. »Und welch ein Glück für mich, daß er im Schatten steht statt im Licht.«
»Manchmal habe ich nicht die geringste Ahnung, wovon du redest, Sayuri. Das mußt du von Mameha gelernt haben. Aber vielleicht bringen sie das ja auch allen Geishas bei.«
»Solange Nobu-san im Schatten steht, kann ich seine zornige Miene nicht sehen.«
»Ach so«, sagte er. »Du glaubst also, daß ich zornig auf dich bin?«
»Was soll ich denn sonst denken, wenn ein alter Freund so viele Monate lang verschwindet? Vermutlich werden Sie mir jetzt erzählen, daß Sie zuviel zu tun hatten, um ins Ichiriki zu kommen.«
»Warum sagst du das so, als könnte es unmöglich stimmen?«
»Weil ich zufällig weiß, daß Sie sehr oft in Gion waren. Aber fragen Sie mich nicht, woher ich das weiß. Ich werde es Ihnen nicht verraten, es sei denn, Sie begleiten mich jetzt gleich auf einem kleinen Spaziergang.«
»Na schön. Da es ein so angenehmer Abend ist…«
»O bitte, Nobu-san, sagen Sie das nicht! Es wäre mir lieber, Sie würden sagen: ›Da ich unerwartet einer alten Freundin begegnet bin, die ich lange nicht gesehen habe, kann ich mir nichts Schöneres vorstellen, als einen Spaziergang zu machen.‹«
»Ich werde mit dir spazierengehen«, sagte er. »Was meine Gründe betrifft, so kannst du darüber denken, was du willst.«
Ich verneigte mich zustimmend, und wir gingen die Gasse Richtung Maruyama-Park hinunter. »Wenn Nobu-san nicht will, daß ich glaube, er sei zornig auf mich«, sagte ich, »sollte er ein wenig freundlicher sein, statt sich wie ein Panther zu benehmen, der seit Monaten nichts mehr gefressen hat. Kein Wunder, daß die arme Takazuru so große Angst hat…«
»Dann hat sie also mit dir gesprochen – oder?« fragte Nobu. »Wenn sie mir nur nicht so auf die Nerven ginge…«
»Wenn Sie sie nicht mögen, warum bitten Sie dann jedesmal um ihre Gesellschaft, wenn Sie nach Gion kommen?«
»Das habe ich doch gar nicht, kein einziges Mal! Aber ihre ältere Schwester drängt sie mir immer wieder auf. Schlimm genug, daß du mich an sie erinnerst. Jetzt willst du die Tatsache, daß du mir heute abend zufällig über den Weg gelaufen bist, auch noch dazu ausnutzen, um mir so lange ein schlechtes Gewissen einzureden, bis ich sie mag!«
»In Wirklichkeit bin ich Ihnen gar nicht über den Weg gelaufen, Nobu-san. Ich gehe seit Wochen durch diese Gasse, nur um Sie endlich wiederzufinden.«
Das schien Nobu nachdenklich zu stimmen, denn eine Weile ging er schweigend weiter. Schließlich sagte er: »Das sollte mich nicht wundern. Du bist eine ganz und gar durchtriebene Person.«
»Aber Nobu-san! Was sollte ich denn tun?« fragte ich. »Ich dachte, Sie wären endgültig verschwunden. Wäre Takazuru nicht in Tränen aufgelöst zu mir gekommen, um mir zu sagen, wie schlecht Sie sie behandeln, hätte ich niemals erfahren, wo ich Sie finden kann.«
»Na schön, ich war wohl etwas zu grob zu ihr. Aber sie ist nicht so intelligent wie du – und übrigens auch nicht so hübsch. Und wenn du glaubst, ich sei zornig auf dich, dann hast du durchaus recht.«
»Darf ich fragen, womit ich meinen alten Freund so verärgert habe?«
Nobu blieb stehen und sah mich mit furchtbar traurigem Ausdruck an. Ich spürte, wie eine Welle der Zuneigung zu ihm in mir aufstieg, wie ich sie in meinem Leben nur für sehr wenige Männer empfunden habe. Ich dachte daran, wie sehr ich ihn vermißt und wie übel ich ihm mitgespielt hatte. Aber obwohl ich mich schämte, es zuzugeben, meine Zuneigung zu ihm war mit einer Spur Mitleid vermischt.
»Nach beträchtlichen Mühen ist es mir gelungen herauszufinden, wer dein danna ist«, sagte er.
»Hätte Nobu-san mich direkt gefragt, so hätte ich es ihm gern
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