Die Geisha - Memoirs of a Geisha
Zimmer!«
»Also wirklich! Ich bin entsetzt über dich, Sayuri. Ich will dir doch nur helfen! Hör mir einen Moment aufmerksam zu, und du wirst sehen, was ich meine. Zum Beispiel: Warum nennst du Nobu Toshikazu bloß›Herr Tsu‹? Der Name paßt überhaupt nicht zu ihm. Ich finde, du hättest ihn ›Herr Beule‹ nennen sollen, oder vielleicht auch ›Herr Einarm‹. Meinst du nicht auch? Wenn du möchtest, kannst du’s ja ändern, du brauchst dich auch nicht bei mir zu bedanken.«
»Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen, Hatsumomo. Ich habe überhaupt nichts über Nobu geschrieben.«
Hatsumomo seufzte, als wollte sie sagen, was für eine schlechte Lügnerin ich doch sei, und begann in meinem Tagebuch zu blättern. »Wenn es nicht Nobu ist, über den du geschrieben hast, möchte ich wissen, wen du dann meinst. Sehen wir mal… Ach ja, hier ist es: ›Manchmal sehe ich, wie Herrn Tsus Gesicht sich vor Ärger rötet, wenn eine Geisha ihn anstarrt. Ich dagegen kann ihn ansehen, solange ich will, das scheint ihn sogar noch zu freuen. Ich glaube, seine Zuneigung zu mir entspringt dem Gefühl, daß ich den Anblick seiner Haut und seines fehlenden Armes nicht als so befremdend und unheimlich empfinde wie viele andere junge Mädchen.‹ Also muß ich wohl denken, daß du mir sagen willst, du kennst jemand, der genauso aussieht wie Nobu. Du solltest die beiden miteinander bekannt machen! Denk doch, wieviel sie gemeinsam haben.«
Mir war inzwischen ganz elend ums Herz geworden – besser kann ich’s nicht beschreiben. Es ist schon schlimm genug, wenn die Geheimnisse, die man bewahrt, plötzlich ans Licht gezerrt werden, aber wenn auch noch die eigene Dummheit dafür verantwortlich ist… Nun, wenn ich jemand beschimpfen wollte, dann höchstens mich selbst, erstens weil ich überhaupt Tagebuch geführt hatte, und zweitens, weil ich es so versteckt hatte, daß Hatsumomo es finden konnte. Ein Ladenbesitzer, der sein Fenster offenstehen läßt, darf nicht auf das Gewitter schimpfen, das seine Waren ruiniert.
Ich ging zum Tisch, um Hatsumomo das Tagebuch wegzunehmen, aber sie preßte es an ihre Brust und erhob sich. Mit der anderen Hand griff sie nach dem Glas, das, wie ich geglaubt hatte, Wasser enthielt. Jetzt, da ich ganz nahe bei ihr war, konnte ich plötzlich Sake riechen. Also war es gar kein Wasser. Sie war betrunken.
»Aber Sayuri, natürlich willst du dein Tagebuch zurückhaben, und natürlich werde ich es dir zurückgeben«, sagte sie. Doch während sie das sagte, ging sie zur Tür. »Das Dumme ist nur, daß ich es noch nicht ganz gelesen habe. Also werde ich es auf mein Zimmer mitnehmen… Es sei denn, du willst, daß ich es Mutter zeige. Die wird sich bestimmt sehr über die Passagen freuen, die du über sie geschrieben hast.«
Ich hatte vorhin erwähnt, daß im Flur ein zerbrochenes Salbentöpfchen auf dem Boden lag. So war es bei Hatsumomo immer: Sie richtete ein Chaos an und machte sich nicht mal die Mühe, die Dienerinnen davon zu unterrichten. Doch jetzt, da sie mein Zimmer verließ, bekam sie endlich, was sie verdiente. Wahrscheinlich hatte sie das Töpfchen vergessen, weil sie betrunken war; wie dem auch sei, sie trat mitten in die Glasscherben und stieß einen Schrei aus. Ich sah, wie sie einen Augenblick ihren Fuß betrachtete und leise aufkeuchte, dann aber ging sie sofort weiter.
Ich geriet in Panik, als sie ihr Zimmer betrat. Ich erwog, ihr das Buch mit Gewalt abzunehmen, doch dann erinnerte ich mich an die Idee, die Mameha beim Sumo-Turnier gekommen war. Hatsumomo nachzulaufen wäre das Offensichtliche gewesen. Besser abwarten, bis sie sich allmählich entspannte, weil sie den Kampf schon gewonnen glaubte, und ihr das Tagebuch wegnehmen, wenn sie am wenigsten damit rechnete.
Das schien mir eine gute Idee zu sein. Doch dann stellte ich mir vor, daß sie es an einem Platz versteckte, den ich vielleicht nie ausfindig machen würde.
Da sie inzwischen die Tür geschlossen hatte, stellte ich mich davor und rief leise: »Hatsumomo-san, es tut mir leid, wenn ich zornig auf Sie gewirkt haben sollte. Darf ich hereinkommen?«
»Nein, darfst du nicht«, gab sie zurück.
Dennoch schob ich die Tür ein Stück weit auf. Im Zimmer herrschte ein schreckliches Durcheinander, weil Hatsumomo bei ihrem Umzugsversuch ihre Sachen überall verstreut hatte. Das Tagebuch lag auf dem Tisch, während Hatsumomo ein Handtuch auf ihren Fuß preßte. Ich hatte keine Ahnung, wie ich sie ablenken sollte, war aber felsenfest
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