Die Geisha - Memoirs of a Geisha
kommt«, gab er zurück. »Ich kann nichts für dich tun, Sayuri.«
»Aber ich bin doch sofort hierhergelaufen! Ich kann mir nicht vorstellen, daß jemand schneller gewesen sein soll als ich.«
»Seit letzter Woche hat mich nahezu jede Geisha aufgesucht, die ich kenne, aber ich habe keine Freunde in Machtpositionen mehr. Außerdem weiß ich nicht, warum eine Geisha mit deinem Status ausgerechnet zu mir kommen sollte. Es gibt so viele einflußreiche Männer, die dich mögen.«
»Gemocht werden und wahre Freunde haben, die bereit sind zu helfen, sind zwei verschiedene Dinge«, erklärte ich ihm.
»O ja, das stimmt. Welche Art Hilfe hast du überhaupt von mir erwartet?«
»Irgendeine, General. Dieser Tage wird in Gion von nichts anderem gesprochen als davon, wie unerträglich das Leben in einer Fabrik sein wird.«
»Für jene, die Glück haben, wird das Leben unerträglich sein. Die übrigen werden das Kriegsende nicht mehr erleben.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Jetzt werden bald die Bomben fallen«, sagte der General. »Und du kannst sicher sein, daß die Fabriken ein gerüttelt Maß davon abkriegen. Wenn du den Krieg überleben willst, solltest du dir jemanden suchen, der dich an einem sicheren Ort verstecken kann. Es tut mir leid, doch dieser Jemand bin ich nicht. Den geringen Einfluß, den ich noch besitze, habe ich bereits verbraucht.«
Der General erkundigte sich nach Mutters und Tantchens Gesundheit und sagte mir kurz darauf Lebwohl. Erst sehr viel später erfuhr ich, was er mit dem verbrauchten Einfluß meinte. Die Besitzerin des Suruya hatte eine junge Tochter, und der General hatte dafür gesorgt, daß sie in eine Stadt im Norden Japans geschickt wurde.
Auf dem Rückweg in die Okiya wurde mir klar, daß es für mich Zeit wurde zu handeln, nur hatte ich keine Ahnung, was ich tun sollte. Selbst die simple Aufgabe, meine panische Angst auf Armeslänge von mir fernzuhalten, kam mir zu schwierig vor. Ich machte einen kurzen Besuch in der Wohnung, in der Mameha inzwischen lebte, denn ihre Verbindung mit dem Baron war einige Monate zuvor zu Ende gegangen, und sie war in eine weit kleinere Behausung umgezogen. Ich dachte mir, daß sie vielleicht wüßte, was zu tun sei; statt dessen empfand sie eine fast ebenso große Panik wie ich.
»Der Baron will mir nicht helfen«, sagte sie mit angstbleichem Gesicht. »Und die anderen Männer, an die ich dachte, habe ich nicht erreichen können. Du solltest dir schnell jemanden einfallen lassen, Sayuri, und auf der Stelle zu ihm gehen.«
Mit Nobu hatte ich zu jener Zeit seit über vier Jahren keinen Kontakt mehr gehabt, deswegen war mir klar, daß ich mich nicht an ihn wenden konnte. Und was den Direktor betraf… nun ja, ich hätte jede Gelegenheit genutzt, nur um ein paar Worte mit ihm zu wechseln, doch um eine Gefälligkeit hätte ich ihn nie und nimmer bitten können. So herzlich er sich mir gegenüber draußen im Flur gab – ich wurde niemals zu seinen Partys gebeten, obwohl zahlreiche weniger gute Geishas Einladungen von ihm erhielten. Das kränkte mich tief, aber was sollte ich tun? Und selbst wenn mir der Direktor hätte helfen wollen, waren seine Auseinandersetzungen mit der Militärregierung in letzter Zeit Thema zahlreicher Presseartikel gewesen. Er hatte genug eigene Probleme.
Also verbrachte ich den Rest jenes Nachmittags damit, in der bitteren Kälte von einem Teehaus zum anderen zu ziehen und mich nach ein paar Gästen zu erkundigen, die ich seit Wochen oder sogar seit Monaten nicht mehr gesehen hatte. Keine der Herrinnen wußte, wo sie waren.
An jenem Abend fanden im Ichiriki mehrere Abschiedspartys statt. Es war faszinierend, wie unterschiedlich die Geishas auf die Nachricht reagierten. Manche blickten drein, als wäre alles Leben aus ihnen gewichen, andere glichen Buddha-Statuen: gelassen und schön, doch überschattet von einem Hauch Traurigkeit. Wie ich selbst wirkte, kann ich nicht sagen, doch mein Gehirn arbeitete wie ein Abakus. So vertieft war ich in dieses Pläneschmieden – in Überlegungen, an welchen Mann ich herantreten könnte und wie ich das am besten anstellen sollte –, daß ich kaum zuhörte, als eine Dienerin mir mitteilte, ich werde in einem anderen Raum verlangt. Ich vermutete, daß eine Gruppe von Männern meine Gesellschaft verlangte, aber sie führte mich in den ersten Stock hinauf und durch einen Gang in den hinteren Teil des Teehauses. Dort öffnete sie die Tür eines Tatami-Zimmers, das ich noch nie zuvor betreten
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