Die Geisha - Memoirs of a Geisha
stand er unvermittelt auf und strebte einer Zimmerecke zu.
»Hören Sie, Minister«, sagte Nobu zu ihm, »was genau haben Sie da vor?«
Die Antwort des Ministers war ein lauter Rülpser, was ich für eine sehr adäquate Antwort hielt, denn es war nicht zu übersehen, daß er kurz davor war, sich zu erbrechen. Nobu und ich eilten hinüber, um ihm zu helfen, aber er hielt sich eisern die Hand vor den Mund. Wäre er ein Vulkan gewesen, er hätte inzwischen zu rauchen begonnen; deswegen blieb uns nichts anderes übrig, als die Türen zum Garten zurückzuschieben, damit er sich in den Schnee erbrechen konnte. Vielleicht finden Sie die Vorstellung, daß sich ein Mann in einen dieser ganz exquisiten Ziergärten erbricht, ziemlich abstoßend, doch der Minister war mit Sicherheit nicht der erste. Wir Geishas versuchen immer, den Mann durch den Flur zur Toilette zu begleiten, zuweilen aber ist uns das ganz einfach nicht möglich. Wenn wir einer der Dienerinnen sagen, ein Herr habe soeben den Garten aufgesucht, wissen alle genau, was wir meinen, und kommen sofort mit ihren Reinigungsgeräten.
Nobu und ich versuchten nach Kräften, den Minister in seiner knienden Position, den Kopf über den Schnee gebeugt, festzuhalten. Trotz unserer Bemühungen stürzte er jedoch schon bald kopfüber hinunter. Ich versuchte ihn zur Seite zu schieben, damit er wenigstens nicht dort im Schnee landete, wo sein Erbrochenes lag. Doch der Minister war so schwer wie ein massiger Klumpen Fleisch. Ich erreichte nur, daß er im Fallen umkippte.
Beim Anblick des Ministers, der stocksteif wie ein vom Baum gefallener Ast im tiefen Schnee lag, sahen Nobu und ich uns hilflos an.
»Nobu-san«, sagte ich zu ihm, »ich wußte ja gar nicht, wie lustig Ihr Gast sein würde.«
»Ich glaube, wir haben ihn umgebracht. Und wenn du mich fragst – er hat es verdient. Was für ein unangenehmer Mensch!«
»Behandeln Sie so Ihre Ehrengäste? Sie müssen mit ihm auf die Straße gehen und eine Weile mit ihm herumgehen, damit er aufwacht. Die Kälte wird ihm guttun.«
»Er liegt im Schnee. Ist das nicht kalt genug?«
»Aber Nobu-san!« sagte ich. Und ich vermute, daß das Vorwurf genug war, denn Nobu stieß einen Seufzer aus, stieg auf Strümpfen in den Garten und begann mit dem Versuch, die Lebensgeister des Ministers zu wecken. Während er damit beschäftigt war, machte ich mich auf die Suche nach einer Dienerin, die uns helfen konnte, denn mir war klar, daß Nobu den Minister mit seinem einen Arm nicht ins Teehaus zurückhieven konnte. Anschließend holte ich trockene Socken für die beiden Herren und ermahnte eine Dienerin, den Garten in Ordnung zu bringen.
Als ich ins Zimmer zurückkehrte, saßen Nobu und der Minister schon wieder am Tisch. Sie können sich sicher vorstellen, wie der Minister aussah – und roch. Ich mußte ihm eigenhändig die nassen Socken von den Füßen ziehen, hielt mich dabei aber möglichst von ihm fern. Sobald ich fertig war, sackte er auf die Matten zurück und verlor eine Sekunde darauf abermals das Bewußtsein.
»Meinen Sie, er kann uns hören?« fragte ich Nobu flüsternd.
»Ich glaube, er kann uns nicht mal hören, wenn er bei Bewußtsein ist«, sagte Nobu. »Hast du jemals einen größeren Dummkopf gesehen?«
»Leise, Nobu-san«, flüsterte ich. »Glauben Sie wirklich, daß es ihm heute abend gefallen hat? Ich meine, ist dies ein Abend, wie Sie ihn sich vorgestellt haben?«
»Es kommt nicht darauf an, was ich mir vorgestellt habe. Es kommt darauf an, was er wollte.«
»Ich hoffe nur, das heißt nicht, daß wir diesen Abend nächste Woche wiederholen.«
»Wenn dem Minister dieser Abend gefallen hat, hat mir dieser Abend auch gefallen.«
»Also wirklich, Nobu-san! Er hat Ihnen doch nicht gefallen. Sie haben so unglücklich ausgesehen, wie ich es noch nie erlebt habe. Bei diesem Zustand des Ministers können wir wohl davon ausgehen, daß es auch für ihn nicht der schönste Abend seines Lebens war…«
»Wenn es um den Minister geht, so kann man von gar nichts ausgehen.«
»Bestimmt wird er sich wohler fühlen, wenn wir die Atmosphäre ein wenig… nun ja, irgendwie festlicher gestalten. Finden Sie nicht auch?«
»Wenn du meinst, daß das hilft, bring doch nächstesmal ein paar Geishas mit«, sagte Nobu. »Am nächsten Wochenende werden wir wiederkommen. Bring deine ältere Schwester mit!«
»Mameha ist wirklich überaus klug, aber den Minister zu unterhalten kostet viel Kraft. Wir brauchen eine Geisha, die… na ja, ich
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