Die Geisha - Memoirs of a Geisha
Sashimi, das man über Nacht draußen auf dem Teller liegenlassen hatte. Aber ich sah, daß sie noch immer eine starke Frau war, denn sie trug einen Sack Kohle in der einen und Lebensmittel in der anderen Hand, um den Arashinos für ihre Freundlichkeit mir gegenüber zu danken.
Am folgenden Tag verabschiedete ich mich unter Tränen und kehrte endlich nach Gion zurück, wo Mutter, Tantchen und ich uns sofort daranmachten, überall gründlich aufzuräumen. Als ich mich in der Okiya umsah, schoß mir der Gedanke durch den Kopf, das Haus wolle uns für die jahrelange Vernachlässigung bestrafen. Wir brauchten allein vier oder fünf Tage, um nur die wichtigsten Probleme zu beheben: den Staub abzuwischen, der sich wie eine dicke Schicht Gaze über das Gebälk gelegt hatte; die Überreste verendeter Nagetiere aus dem Brunnen zu fischen und Mutters Zimmer im ersten Stock zu reinigen, wo die Vögel die Tatami-Matten zerfetzt und mit dem Stroh Nester in der Wandnische gebaut hatten. Zu meinem Erstaunen arbeitete Mutter ebenso hart wie wir anderen – zum Teil, weil wir uns nur eine Köchin und eine erwachsene Dienerin leisten konnten; dafür hatten wir noch ein kleines Mädchen namens Etsuko, die Tochter des Mannes, auf dessen Bauernhof Mutter und Tantchen gelebt hatten. Und wie um mir ins Gedächtnis zu rufen, wie viele Jahre vergangen waren, seit ich als Neunjährige nach Kyoto gekommen war, zählte Etsuko ebenfalls neun Jahre. Obwohl ich ihr bei jeder Gelegenheit freundlich zulächelte, schien sie mir gegenüber die gleiche Scheu zu empfinden, die ich damals vor Hatsumomo gehabt hatte. Sie war so lang und dünn wie ein Besenstiel, mit langen Haaren, die hinter ihr herwehten, wenn sie eilig umherlief. Und ihr Gesicht war schmal wie ein Reiskorn, so daß ich unwillkürlich dachte, daß sie, wie einst ich, eines Tages in den Topf geworfen und weiß und rund und duftig herauskommen würde, bereit zum Verzehr.
Als die Okiya wieder bewohnbar war, machte ich mich auf, um mich überall in Gion respektvoll zurückzumelden. Ich begann mit Mameha, die nun in einer Einzimmerwohnung über einer Apotheke beim Gion-Schrein wohnte; seit sie vor einem Jahr zurückgekehrt war, hatte sie keinen danna gehabt, der ihr etwas Geräumigeres finanzierte. Als sie mich sah, war sie, wie sie mir sagte, zunächst erschrocken darüber, daß meine Wangenknochen so weit vorstanden. Ehrlich gesagt, war ich jedoch genauso erschrocken über den Anblick, den sie bot. Das schöne Oval ihres Gesichts war zwar unverändert, aber ihr Hals wirkte sehnig und viel zu alt für sie. Das Seltsamste aber war, daß sie manchmal wie eine alte Frau die Lippen spitzte, weil ihre Zähne während des Krieges sehr locker geworden waren und ihr noch immer Schmerzen bereiteten, obwohl ich keinen Unterschied erkennen konnte.
Wir unterhielten uns lange, und dann fragte ich sie, ob die Tänze der Alten Hauptstadt ihrer Meinung nach im bevorstehenden Frühling wieder aufgeführt werden würden. Die letzte Aufführung hatte vor fünf Jahren stattgefunden.
»Warum denn nicht?« gab sie zurück. »Dann könnte das Thema ›Tänze im Strom‹ lauten!«
Wenn Sie jemals ein Heilbad mit heißen Quellen oder etwas Ähnliches besucht haben und dort von Frauen unterhalten wurden, die sich als Geishas ausgaben, in Wirklichkeit aber Prostituierte waren, werden Sie Mamehas kleinen Scherz verstehen. Eine Frau, die den »Tanz im Strom« aufführt, macht in Wirklichkeit eine Art Striptease. Sie tut, als wate sie immer tiefer ins Wasser hinein, während sie ihren Kimono, damit der Saum nicht naß wird, immer höher zieht, bis die Männer schließlich das sehen, worauf sie gewartet haben, zu johlen beginnen und einander mit Sake zuprosten.
»Bei den vielen amerikanischen Soldaten, die es heutzutage in Gion gibt, wirst du mit Englisch weiter kommen als mit dem Tanzen«, erklärte sie mir. »Außerdem ist aus dem Kaburenjo-Theater ein kyabarei geworden.«
Dieses Wort, das sich vom englischen »Cabaret« herleitete, hatte ich noch nie gehört, doch ich erfuhr schon bald, was es bedeutete. Selbst als ich bei den Arashinos lebte, hatte ich Geschichten über die amerikanischen Soldaten und ihre lärmenden Partys gehört. Trotzdem war ich schockiert, als ich am selben Nachmittag den Eingangsbereich eines Teehauses betrat und – statt der gewohnten Reihe von Herrenschuhen an der Treppenstufe – ein wirres Durcheinander von Militärstiefeln vorfand, die mir alle so groß vorkamen wie Mutters kleiner
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