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Die Geisha - Memoirs of a Geisha

Titel: Die Geisha - Memoirs of a Geisha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Golden
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Oktobernachmittag verließen wir Mamehas Wohnung und gingen stromabwärts am Ufer des Shirakawa entlang, wo wir beobachteten, wie die Blätter der Kirschbäume aufs Wasser segelten. Aus demselben Grund gingen auch viele andere Leute dort spazieren, die Mameha, wie erwartet, allesamt freundlich grüßten. Und in fast jedem Fall begrüßten sie auch mich.
    «Du wirst allmählich bekannt, findest du nicht?« sagte sie zu mir.
    »Ich glaube, die meisten Leute würden sogar ein Schaf grüßen, wenn es neben Mameha-san ginge.«
    »Vor allem ein Schaf«, sagte sie. »Das wäre nämlich höchst ungewöhnlich. Aber wirklich, es gibt eine Menge Leute, die mich nach dem Mädchen mit den schönen grauen Augen fragen. Deinen Namen haben sie sich noch nicht gemerkt, aber das ist unwichtig. Du wirst ohnehin nicht mehr lange Chiyo heißen.«
    »Will Mameha-san damit sagen, daß…«
    »Ich will sagen, daß ich mit Waza-san gesprochen habe«– das war ihr Wahrsager –, »und der meint, der dritte Tag im November sei das passende Datum für dein Debüt.«
    Mameha blieb stehen, um mich anzusehen. Ich stand stocksteif da, und meine Augen waren so groß wie Reiskuchen. Ich schrie nicht vor Freude, ich klatschte nicht in die Hände, ich war so glücklich, daß ich kein Wort herausbrachte. Schließlich verneigte ich mich vor Mameha und dankte ihr.
    »Du wirst eine gute Geisha werden«, erklärte sie, »aber du wirst noch besser sein, wenn du dir einmal Gedanken darüber machst, welche Botschaften du mit deinen Augen aussendest.«
    »Ich wußte nicht, daß ich damit überhaupt Botschaften aussende«, gab ich zurück.
    »Die Augen sind das ausdrucksvollste am Körper einer Frau, vor allem in deinem Fall. Bleib doch mal einen Moment da stehen, dann zeige ich’s dir.«
    Mameha ging um die Ecke und ließ mich allein in der stillen Gasse stehen. Gleich darauf kam sie wieder hervor und ging mit abgewandtem Blick an mir vorbei. Ich hatte den Eindruck, sie fürchtete sich vor dem, was geschehen könnte, wenn sie mich direkt ansah.
    »Also«, sagte sie. »Wenn du jetzt ein Mann wärst, was würdest du denken?«
    »Ich würde denken, Sie seien so intensiv damit beschäftigt, meinem Blick auszuweichen, daß Sie an nichts anderes mehr denken können.«
    »Wäre es nicht möglich, daß ich ganz einfach nur die Regenrinnen an den Mauern betrachtet habe?«
    »Selbst wenn das so wäre, würde ich denken, daß Sie mich nicht ansehen wollten.«
    »Genau darum geht es mir. Ein Mädchen mit einem schönen Profil wird einem Mann niemals zufällig eine falsche Botschaft damit vermitteln. Aber die Männer werden deine Augen bemerken und sich einbilden, daß du ihnen etwas sagen willst, obwohl das gar nicht stimmt. Und nun gib noch einmal gut acht.«
    Wieder verschwand Mameha hinter der Ecke, und als sie diesmal wiederkam, hielt sie den Blick zu Boden gesenkt und ging auf eine besonders verträumte Art. Als sie mich erreichte, hob sie den Blick für einen Moment, so daß er den meinen traf, und wandte ihn dann sofort wieder ab. Ich muß sagen, daß mich ein elektrisierender Schock durchfuhr; wäre ich ein Mann gewesen, ich hätte gedacht, sie habe ganz flüchtig einem sehr starken Gefühl nachgegeben, das zu verbergen sie bemüht war.
    »Wenn ich mit meinen normalen Augen solche Dinge durchblicken lassen kann«, erklärte sie mir, »dann überleg doch mal, wieviel mehr du mit den deinen ausdrücken kannst. Ich wäre nicht überrascht, wenn du erreichen könntest, daß ein Mann direkt hier auf der Straße in Ohnmacht fällt.«
    »Mameha-san!« sagte ich. »Wenn es in meiner Macht läge, Männer in Ohnmacht fallen zu lassen, hätte ich das inzwischen bestimmt gemerkt.«
    »Es wundert mich, daß du es noch nicht gemerkt hast. Also gut, du bekommst dein Debüt, sobald es dir gelingt, einen Mann so anzusehen, daß er auf der Stelle stehenbleibt, einverstanden?«
    Ich war so begierig auf mein Debüt, daß ich sogar versucht hätte, mit meinen Blicken einen Baum zu fällen, wenn Mameha mich dazu aufgefordert hätte. Ich fragte sie, ob sie so freundlich wäre, mich zu begleiten, während ich mit einigen Männern experimentierte, und sie sagte, es wäre ihr eine Freude. Mein erstes Versuchsobjekt war ein so alter Mann, daß er aussah wie ein Kimono voller Knochen. Auf seinen Stock gestützt, schlurfte er langsam die Straße entlang, und seine Brille war so dreckverschmiert, daß es mich nicht gewundert hätte, wenn er in eine Hausecke gelaufen wäre. Er bemerkte mich

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