Die Geisha - Memoirs of a Geisha
schliefen, denn nach Mamehas Besuch in unserer Okiya hatte mich Mutter dort einquartiert. Doch statt mich auf die Tatami-Matten zu legen und zu weinen, bewegte ich den Arm mit einer ausholenden Geste vor meinem Körper. Ich weiß nicht, warum ich das tat – es war die Tanzbewegung, die wir an jenem Vormittag einstudiert hatten und die mir sehr, sehr traurig zu sein schien. Zugleich dachte ich an den Direktor und daran, wieviel schöner mein Leben wäre, wenn ich mich auf einen Mann wie ihn verlassen könnte. Als ich meinen Arm im Bogen durch die Luft führte, schien mir die Bewegung diese Gefühle der Trauer und der Sehnsucht auszudrücken. Mein Arm schien mit großer Würde dahinzugleiten – nicht wie ein Blatt, das vom Baum fällt, sondern wie ein Passagierdampfer, der auf dem Wasser einherzieht. Mit »Würde« meine ich wohl die Art Selbstsicherheit oder Zuversicht, die sich von einem leichten Windhauch oder einer kleinen Welle nicht aus dem Gleichgewicht bringen läßt.
An diesem Nachmittag entdeckte ich, daß ich mich mit großer Würde bewegen konnte, wenn sich mein Körper schwer anfühlte. Und wenn ich mir vorstellte, daß mich der Direktor beobachtete, legte ich in meine Bewegungen ein so tiefes Gefühl, daß zuweilen jede Tanzbewegung eine kleine Begegnung mit ihm auszudrücken schien. Wenn ich mich mit leicht schiefgelegtem Kopf umwandte, so konnte das die Frage darstellen: »Wo werden wir heute den Tag miteinander verbringen, Direktor?« Streckte ich den Arm aus und öffnete den Fächer, sagte ich damit, wie dankbar ich sei, daß er mich mit seiner Gesellschaft beehre. Und wenn ich später im Tanz den Fächer schloß, sagte ich ihm damit, daß mir im Leben nichts wichtiger sei, als ihm zu gefallen.
13. KAPITEL
Nachdem ich die Schule über zwei Jahre lang besucht hatte, beschlossen Hatsumomo und Mutter im Frühjahr 1934, die Zeit sei für Kürbisköpfchens Debüt als Lerngeisha gekommen. Mir wurde natürlich nichts davon gesagt, denn Kürbisköpfchen durfte nicht mit mir sprechen, und Hatsumomo und Mutter dachten gar nicht daran, auch nur einen Gedanken an so etwas zu verschwenden. Also erfuhr ich es erst, als Kürbisköpfchen die Okiya an einem frühen Nachmittag verließ und am Ende des Tages mit der Frisur einer Lerngeisha wiederkam, der sogenannten momoware, das heißt »gespaltener Pfirsich«. Als ich sah, wie sie die Eingangshalle betrat, war ich ganz krank vor Enttäuschung und Eifersucht. Ihr Blick begegnete dem meinen kaum länger als einen Moment. Vermutlich dachte sie daran, wie ihr Debüt auf mich wirken mußte. Ihr Haar war nun in einem schönen Bogen von den Schläfen zurückgekämmt, statt wie zuvor einfach im Nacken gebunden zu sein, und ließ sie wie eine junge Frau aussehen, obwohl sie noch immer ein Babygesicht hatte. Seit Jahren hatten sie und ich die älteren Mädchen beneidet, die eine so elegante Frisur tragen durften. Und jetzt sollte Kürbisköpfchen ihre Geishalaufbahn beginnen, während ich zurückblieb und sie nicht mal nach ihrem neuen Leben ausfragen durfte.
Dann kam der Tag, an dem Kürbisköpfchen zum erstenmal als Lerngeisha eingekleidet wurde und mit Hatsumomo zu der Zeremonie, durch die sie als Schwestern einander verbunden wurden, ins Mizuki-Teehaus ging. Mutter und Tantchen begleiteten sie, mich dagegen nahmen sie nicht mit. Aber ich stand bei ihnen in der Eingangshalle, als Kürbisköpfchen, von den Dienerinnen begleitet, die Treppe herunterkam. Sie trug einen prächtigen schwarzen Kimono mit dem Wappen der Nitta-Okiya und einem Obi in Pflaumenblau und Gold. Dazu hatte sie sich zum allererstenmal das Gesicht geschminkt. Man hätte erwarten können, daß sie mit dem Schmuck im Haar und dem leuchtenden Rot ihrer Lippen stolz und bezaubernd aussah, ich aber fand, daß sie eher beunruhigt wirkte. Das Gehen bereitete ihr Schwierigkeiten, denn der Staat einer Lerngeisha ist ziemlich schwierig. Mutter drückte Tantchen eine Kamera in die Hand und bat sie, hinauszugehen und zu fotografieren, wie sie Kürbisköpfchen zum erstenmal glückbringende Funken auf den Rücken regnen ließ. Wir übrigen blieben in der Eingangshalle, wo wir nicht gesehen wurden. Die Dienerinnen hielten Kürbisköpfchens Arme, während sie in die hohen Holzschuhe schlüpfte, die wir okobo nennen und die jede Lerngeisha zu tragen hat. Dann stellte sich Mutter hinter Kürbisköpfchen und tat, als wollte sie den Feuerstein sprühen lassen, obwohl diese Aufgabe in Wirklichkeit stets von Tantchen oder
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