Die Geishas des Captain Fishby
Higa-Jiga auch gewiß keine Künstlerin war,
vermochte sie doch den Teebesen aus Bambus so geschwind und behende in der
Schale kreisen zu lassen, daß sich im Nu eine dicke Schicht von Schaum bildete.
Als sie Fisby dann das fertige Getränk
reichte, flüsterte Sakini ihm zu: „Sie müssen die Schale in die linke Hand
nehmen und sie mit der rechten festhalten. Sie könnte sonst entzweigehen, und
das wäre schade, weil manche von ihnen schon drei- bis vierhundert Jahre alt
sind.“ Fisby nickte und blickte interessiert auf den Tee, der wie eine
schaumige dicke Suppe aus geschälten Erbsen aussah.
„Und jetzt“, fuhr Sakini fort, „nehmen
Sie einen Schluck, und danach ist es Sitte bei uns, der Gastgeberin zu sagen,
daß der Tee vorzüglich und auch schön dickflüssig sei.“
Fisby tat, wie ihm geheißen: „Hm, der
Tee ist wirklich vorzüglich.“
Fräulein Higa-Jiga wurde vor Freude
über dieses Lob dunkelrot.
„Sie trinken nun noch ein paar Schlucke,
Chef“, unterwies ihn Sakini weiter, „und dann geben Sie mir die Schale. Ich tue
das gleiche und reiche sie ,Lotosblüte’ danach.“ Die Schale machte so die
Runde, und nun wurde Fisby belehrt, daß es das Vorrecht des Hauptgastes sei,
sie genau von allen Seiten zu betrachten. Er tat das deshalb auch, wobei er
aber, sich daran erinnernd, daß — wie er es vorhin vernommen — manche dieser
Schalen viele Hundert Jahre alt seien, sie mit äußerster Behutsamkeit hin und
her drehte. Diese jedoch, glaubte er zu erkennen, war noch ganz neu. Er wandte
sich darum schüchtern an Sakini, ob er wohl eine Frage stellen dürfe. „Aber
natürlich“, antwortete Sakini, „man erwartet das sogar von Ihnen.“
„Gut, also denn“, räusperte sich
Fisby, „wie alt ist diese Schale?“
Aber da Fräulein Higa-Jiga nichts
darauf zu antworten wußte, sprang „Lotosblüte“ für sie ein. „Kiei hat sie eben
erst gemacht“, übersetzte Sakini. „Darum hat sie noch keine Geschichte, aber
sie wird sie auch einmal haben. In vierhundert, fünfhundert oder sechshundert
Jahren vielleicht wird jemand von Fräulein Higa-Jigas Nachkommen genau solch
eine Teezeremonie wie diese heute veranstalten. Und der Hauptgast wird dann
wohl auch nach der Schale fragen wie Sie eben. Und dann wird die Gastgeberin
ihm alles erzählen, was vom Großvater dem Sohn und vom Sohn dem Enkel und so
fort überliefert ist. Dann wird sie von den Männern berichten, die in
gepanzerten Schiffen aus Amerika kamen und unsere Küste eroberten. Sie wird
dabei auch Sie nicht vergessen, der in unser Dorf kam und uns den schönen
weißen Stoff schenkte. Sie wird erzählen, daß Sie uns ein Teehaus gebaut haben,
obwohl wir noch nie eins im Dorf gehabt, und viele Cha-no-yu-Häuser dazu. Und
alles, was Sie sonst noch für uns getan haben, wird sie der Reihe nach aufzählen
und nicht zuletzt erwähnen, daß Sie der erste gewesen, der aus dieser Schale
getrunken hat.“
„Nein, so etwas!“ meinte Fisby sehr
bewegt und starrte wie gebannt auf die Schale.
„Ja, Chef, so wird das sein“,
wiederholte Sakini. „Aber darf ich sie auch einmal betrachten?“
Fisby reichte sie ihm, sah dann aber
zu seinem Verdruß, daß er gar nicht sonderlich pfleglich mit ihr umging. „Ich
bitte dich, Sakini“, rief er leicht gereizt, „laß sie nur nicht fallen!“ Bei
Gott — diese Schale sollte mindestens sechshundert Jahre überdauern! War es
nicht ein berauschender Gedanke, daß er, Captain Jeff Fisby aus Napoleon in
Ohio, wennschon nicht anderswo, so doch wenigstens in diesem weltverlorenen
Winkel in die Geschichte eingehen würde?
Aber gerade in diesem feierlichen
Augenblick ertönte draußen ein Grunzen, und Fräulein Higa-Jiga stürmte
daraufhin sofort zur Tür, kehrte jedoch gleich wieder glücklich lächelnd
zurück. „Was ist denn los, Sakini?“ fragte Fisby.
„Ach, Hiyoshi ist nur gekommen, um zu
sehen, was wir hier machen.“
Und tatsächlich, da schob sich auch
schon Hiyoshis Schnauze durch die Türe, und Fräulein Higa-Jiga ergriff das Tier
bei den Ohren und zerrte es herein. „Lotosblüte“ sprang erregt auf. Und obwohl
Fisby nicht verstand, was sie sagte, erriet er’s doch an dem Ton ihrer Stimme.
„Bringen Sie das Schwein sofort wieder hinaus!“ schrie sie völlig aufgelöst.
Aber auf Fräulein Higa-Jiga schien das
wenig Eindruck zu machen. Mit unschuldsvoller Miene erklärte sie, daß Hiyoshi
auch gern Tee trinke und daß sie ihm etwas davon in eine Schale gießen wolle.
Das Tier würde dann
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