Die Geister schweigen: Roman (German Edition)
dort wirklich etwas einkaufen will, den Platz wegnehmen.«
Amadeo runzelte die Stirn. Er wusste sehr wohl, dass seine Schwester nicht nur mit einem Schreibtischset in der Hand aus El Siglo kommen würde; es war immer das Gleiche. Aber er ließ Violeta ihre Launen durchgehen. Und Concha wusste das nur zu gut und setzte immer ihren Kopf durch.
Leider fanden die alltäglichen Besuche von Rechtsanwalt Trescents nicht so schnell ein Ende. Hinter den Aktenmappen mit den laufenden Vorgängen verschanzt, gab der Jurist seinen ermüdenden Tagesbericht von sich: »Die Arbeiter von Hilado y Tejidos de San Andrés fordern höhere Löhne und eine Schule für ihre Kinder. Sie sagen, dass Ihr Vater das den Textilarbeitern zugesagt hatte, bevor er von uns ging. Die Arbeiter in Mataró berichten, dass es in den Fabrikhallen von Ratten wimmelt, und sie verlangen nach einem tödlichen Rattengift. Die Baumwolle, die gestern auf dem Seeweg eintreffen sollte, hat wegen des schlechten Wetters Verspätung. Die Arbeiter von San Martín können derzeit nicht weiterarbeiten und fragen, ob sie nach Hause gehen können, bis die Baumwolle da ist. Ein Bauer, der eines unserer Grundstücke in der Avenida Diagonal gepachtet hat, möchte das Grundstück betreten, um die Kartoffeln zu ernten. Er bietet uns im Gegenzug vierzig Kilo Kartoffeln an. Es gibt verschiedene höchst interessante Angebote für Grundstücke im Paseo de Bonanova, einige sind wirklich spottbillig. Meiner Ansicht nach sollten wir die Angebote unbedingt überdenken. Hier habe ich Ihnen die Auszüge von sämtlichen Konten bei der Banco de Barcelona mitgebracht, damit Sie sie überprüfen können. Señor Estruch lässt Ihnen Grüße ausrichten und lädt Sie nächsten Donnerstag zum Mittagessen ein. Der Marqués de Mariana und Gattin sagen, die Stühle in ihrem neuen Palais seien schief, und deshalb weigert sich die Marquesa, die etwas beleibt ist, darauf zu sitzen, weil sie Angst hat, dass der Stuhl zusammenbricht. Señor Moreu, der Möbelhändler, lässt fragen, wie viele Wandschirme für die Einrichtung des Hauses des Conde de Olano benötigt werden. Der Verein Amigos del Arte de Santa Águeda bittet Sie um Ihre Unterschrift für das Haus, das Gaudí für die Familie Milá errichtet hat, denn es gibt Kritiker, die ihn anklagen, dies sei ein städteplanerischer Irrtum und ein seltsames Ding. Ich komme zum letzten Punkt: Ihr Bruder Juan arbeitet seit mehreren Wochen an einem Plan für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Fabrikarbeiter, den ich übrigens sehr überzeugend finde, und möchte ihn Ihnen zur Begutachtung vorlegen. Es gibt noch einige Dinge mehr, die weniger wichtig sind und die wir besprechen können, sobald wir diese dringenden Dinge erledigt haben.«
So etwas war für einen Mann, der mit seinen Gedanken in einer anderen Welt lebte, eine einzige Tortur.
»Was ist das für ein Verbesserungsplan für die Arbeiter? Ich habe gar nicht gewusst, dass mein Bruder solche Neigungen hat.«
»Die hat er, Señor. Vielleicht ist sein Vorschlag angebracht.«
»Angebracht … Was heißt hier ›angebracht‹? Für wen?«
»Für alle, Señor. In solch turbulenten Zeiten sind zufriedene Arbeiter gut für das Geschäft.«
»In Ordnung. Sagen Sie meinem Bruder, dass ich mit ihm über seinen Plan sprechen werde, aber ich kann ihm noch nicht sagen, wann. Alles andere besprechen wir morgen.«
Trescents machte sich einen Vermerk. Mit der anderen Hand nahm er aus seiner Tasche ein Tuch, mit dem er die Pause nutzte, um sich den Schweiß von der Stirn zu wischen.
»Könnten Sie mir nicht wenigstens eine Antwort für die Rattenplage in Mataró geben? Das Problem ist wirklich dringend.«
»Trescents, es ist spät geworden. Lösen Sie die dringenden Fragen so, wie Sie es für richtig halten.«
Der Rechtsanwalt zog sich mit der Miene eines Verlierers zurück. Er dachte, dass ihn der Sohn seines hochgeschätzten Don Rodolfo noch ganz krank machen werde, wenn er nicht bald in die Fußstapfen seines Vaters trete. Dabei hatte sein Leidensweg eben erst begonnen, denn solange bei ihm noch die Neugierde anhielt, bereitete Amadeo dem Rechtsanwalt nur Überraschungen. So wie an dem Tag, an dem Trescents wie immer zur Besprechung eintraf und den Erben mit strahlendem Lächeln in Aufbruchsstimmung vorfand: der weiße Mantel über den Schultern, die echte Gardenie im Knopfloch und die Ziegenlederhandschuhe in den Händen.
»Bringen Sie mich zu einer meiner Fabriken. Ich muss selbst sehen,
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