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Die Geister schweigen: Roman (German Edition)

Die Geister schweigen: Roman (German Edition)

Titel: Die Geister schweigen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Care Santos
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entschied sich jeden Tag neu, nach dem Frühstück und der Zeitungslektüre. Wer etwas von ihm wollte, erschien gegen zwölf Uhr mittags vor dem Kabinett und wurde strikt nach der Reihenfolge des Eintreffens empfangen. Leider wollten mehr Menschen etwas von ihm, als sein zurückhaltendes Wesen es ertrug. In der Zeit zwischen Don Rodolfos Tod und seiner Volljährigkeit musste er sich in seine neuen Verpflichtungen fügen. Er empfing ohne zu zögern die Leute und hörte ihnen zu, dabei wirkte er zwar immer in sich versunken, zeigte aber ein Verantwortungsbewusstsein, das selbst seine Mutter überraschte. Bei den Bittstellern war Eutimia für die Angelegenheiten des Haushaltes zuständig.
    »Wir brauchen Hülsenfrüchte, Kartoffeln, Öl und Kaffee. Die Milch ist zwei Céntimos teurer geworden. Ich werde vier Säcke Kohle für die Küche bestellen. Es fehlt Kalk zum Metallputzen und Vogelfutter für die Vögel von Señorita Violeta und noch andere dringende Dinge. Es wäre gut, für den Patio eine neue Matte zu kaufen. Außerdem benötigen wir einen Zahnstocherbehälter sowie ein halbes Dutzend Dessertlöffel. Uhrmacher Merleti und ein Laufbursche vom Wachszieher Tardà haben uns die Rechnungen gebracht. Ach, ein Dienstmädchen leidet unter Hitzewallungen und benötigt die Pillen von Dr. Andreu. Ein anderes hat Würmer und braucht einen Einlauf …«
    »Kaufen Sie alles, was notwendig ist«, beschied Amadeo, der sich herzlich wenig für die Probleme interessierte, die die Gedärme des Personals verursachten, während er die Papiere durchsah: Uhrmacher Merleti: Jahresrechnung für Instandsetzung und Aufziehen aller Uhren im Hause Lax, 20 Peseten  … Wachszieher Tardà: Kerzen, Stumpenkerzen und Öllampen in verschiedenen Farben und Größen, 5 Peseten .
    »Und wenn es nicht unpassend ist, Señor, ich hätte noch eine Bitte. Ich würde gerne eine medizinische Salbe kaufen« – Eutimia zückte einen Zettel aus ihrer Schürzentasche und las unter Mühen die fremde Handschrift –, »und zwar Tricofero Padró.«
    Amadeo zog die Brauen hoch. Die Haushälterin las weiter vor:
    »Dreifache Wunderwirkung. Erstens: Fördert den Haarwuchs. Das Haar wächst üppig und glänzend mit sehr hübschen Locken. Zweitens: Reinigt die Kopfhaut. Es handelt sich um kein Öl, das ranzig wird, und deshalb verhindert es Schuppen und andere ekelhafte Dinge. Drittens: Heilt Kopfschmerzen. Da Tricofero Padró das Haar zu perfekter Gesundheit führt, aktiviert es dessen natürliche elektrische Aktivität, und dieser schwache und sichere Strom, der die Ansammlung von Nervenflüssigkeit einfach …«
    »Schon gut, schon gut«, fiel ihr Amadeo ins Wort, »besorg dir dieses Wundermittel.«
    In manchen Fällen folgte Amadeo Eutimias Bitten schlichtweg aus Ermüdung.
    Concha hingegen kam ihm mit weniger pragmatischen Anliegen, bei denen es fast immer um Violeta ging.
    »Deine Schwester hätte liebend gerne ein Schreibtischset. Sie schreibt sehr gerne.«
    »Was schreibt sie denn?«
    »Ein geheimes Tagebuch. Und viele Briefe.«
    »Was für Briefe? An wen?«, fragte Amadeo beunruhigt.
    »Ach, an alle. An deine Mutter, an dich … an eine imaginäre Freundin namens Greta und sogar an einen Tigerbändiger namens Henriksen, den wir letzten Samstag im Teatro Soriano erlebt haben. Im Programm stand, dass sie ihn wieder zum Leben erweckt haben, damit er erstmalig in Barcelona auftreten kann.«
    Amadeo lachte.
    »Bestimmt ist er ein Freund meiner Mutter. Oder wird es sehr bald sein.«
    »So ist es. Doña Maria del Roser hat uns die Vorstellung empfohlen. Deiner Schwester hat sie sehr gut gefallen. Du hättest sehen sollen, wie begeistert sie Beifall geklatscht hat«.
    »Ich heiße es nicht gut, dass ein elfjähriges Fräulein mit Tigerbändigern korrespondiert, die wiederbelebt wurden«, scherzte der Hausherr, ehe er Violeta alle geäußerten Wünsche bewilligte. »Schon gut. Sie soll ihr Schreibtischset bekommen. Ich werde Octavio ausrichten, dass ihr es diese Woche aussuchen kommt.«
    »Das ist nicht nötig, Amadeo. Mit Verlaub, wir möchten uns lieber nach Lust und Laune allein umsehen. Wenn Don Octavio dabei ist, können wir nicht mit dem Aufzug fahren.«
    »Was sagst du da?«
    »Deine Schwester fährt zu gerne mit diesen Dingern rauf und runter. Und ehrlich gesagt, ich auch. Übrigens sind wir nicht die Einzigen. Der Liftboy ist den ganzen Nachmittag damit beschäftigt, die Neugierigen hinauszuwerfen. Es sind so viele, dass sie der Kundschaft, die

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