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Die Geister schweigen: Roman (German Edition)

Die Geister schweigen: Roman (German Edition)

Titel: Die Geister schweigen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Care Santos
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Mutter nach.
    »Mutter, ich weiß nicht, ob ich die Fabriken von Industrias Lax überhaupt leiten will«, sagte er nur.
    »Vergiss nicht die Golorons-Werke, mein Sohn. Denk daran, auch die Früchte der Mühen deines Großvaters liegen nun in deiner Hand.«
    Amadeo wurde auf seinem Stuhl unruhig. Der Elan seiner Mutter ließ seine eigene Festigkeit schwinden. Er versuchte noch etwas anzumerken, doch Maria del Roser kam ihm zuvor.
    »Es ist offensichtlich, dass du ein Händchen für die Malerei hast, und ich begrüße das sehr. Kümmere dich um diese Gabe, wenn du das möchtest, aber vergiss nicht, den Namen deines Vaters zu ehren, indem du dich um sein Erbe kümmerst, das nicht nur Immobilien, Patente, Bilanzen und andere komplizierte Dinge enthält. Dein Vater hätte es sicher gerne gesehen, wenn du dich auch und vor allem um die Arbeiter kümmern würdest. Rodolfo war stolz darauf, jeden Einzelnen von ihnen gekannt zu haben, und dabei sind es mehr als fünftausend.«
    »Haben Sie nie daran gedacht, dass ihm vielleicht genau diese Arbeiter die tödliche Falle gestellt haben könnten?«
    Maria del Roser verwarf diesen Gedanken mit einem heftigen Schlag auf den Tisch.
    »Ach, so ein Unsinn! Seine Verräter kannten ihn gar nicht. Sie wussten nur das über ihn, was sie wissen mussten, um ihn zu hassen: seine Umsetzungen der Klöster, seine einflussreichen Freunde, sein Vermögen. Sie waren gegen ihn, so wie sie gegen die Mönche und Nonnen waren: einfach aus Gewohnheit. Hier in Barcelona funktioniert das so, hast du das nicht gewusst? Beim geringsten Protest gegen irgendeine Ungerechtigkeit rennen alle los, zünden Klöster an und bringen Reiche um.«
    »Sie weigern sich einfach, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen, Mutter. Für die Arbeiter sind wir Feinde.«
    »Was für ein Unsinn! Dein Vater war keinem einzigen seiner Arbeiter gegenüber feindselig. Ganz im Gegenteil: Sie haben ihn verehrt. Und zwar mit Fug und Recht. Er hat mehr für sie getan als jeder andere Unternehmer. Du musst dich nur umhören. Aber jetzt hörst du mir zu, denn ich bin noch nicht fertig.«
    Amadeo wurde mürrisch. Sein Auftreten als neuer Señor im Hause Lax, das bei Julián und bei Conchita so gut funktioniert hatte, verfehlte bei seiner Mutter, die zudem von Gesetz wegen noch sein Vormund war, die Wirkung.
    »Ich will dein Versprechen, dass ich mich um deinen Vater kümmern kann.«
    Amadeo fühlte sich so unbehaglich wie ein Ochse bei Tisch. Maria del Roser sprach weiter: »Setze Traueranzeigen in die Zeitungen, organisiere Gedenkgottesdienste und erkläre Firmentrauertage in allen Fabriken der Welt, wenn du willst, aber lass deinen Vater im Kreuzgang vom Convento de Montesión ruhen. Bei seinen Nonnen.«
    Amadeo wollte sich gerade in die Abmachung fügen, doch da fiel ihm noch ein Verhandlungspunkt ein.
    »Schon gut. Wenn Sie mir alles Notwendige für ein Maleratelier schenken und mir gestatten, mich in der Mansarde einzurichten«, forderte er.
    Die Witwe sah ihren Sohn lange an, als sehe sie ihn gerade zum ersten Mal. Bevor sie ihre Entscheidung aussprechen konnte, fuhr der Erbe fort: »Sagen Sie mir, woher Sie die Einzelheiten über Vaters Tod kennen, die Sie mir gerade berichtet haben.«
    »Mit dem Maleratelier bin ich einverstanden«, teilte die Mutter nach einer beklemmenden Pause mit. »Alles, was dafür notwendig ist, kannst du selbst veranlassen, denn ich werde dir sämtliche Vollmachten für die geschäftlichen Dinge übertragen. Doch das andere geht dich nichts an.«
    Amadeo verzog das Gesicht zu einem hämischen Grinsen, das er gerade noch korrigieren konnte, als seine Mutter vom Tisch aufstand, äußerst bedächtig den Stuhl wieder an die Tischplatte rückte und sagte: »Morgen werden wir zulassen, dass das Leben wieder beginnt, mein Sohn. Bestimmt wird es uns irgendwo hinführen.«
    Als die dunkle Silhouette von Maria del Roser Golorons sich von dem Hintergrund des Kamins abhob, sagte ihr Sohn noch: »Mutter, ich bewundere wirklich die Fassung und den Mut, die Sie in diesem Augenblick zeigen.«
    Fast schon an der Tür angekommen, erwiderte sie – dabei war unklar, ob für sich selbst oder an ihren Sohn gerichtet: »Seht genau ins Dunkel, und ihr werdet das Licht der Toten leuchten sehen.«

    Für Amadeo Lax begann der Tag nicht vor zehn Uhr morgens. Nur äußerst selten war er bereit, früher aufzustehen oder aus dem Haus zu gehen, bevor es elf Uhr geschlagen hatte. Ebenso wenig behagte es ihm, im Voraus Pläne zu schmieden. Er

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