Die Geister schweigen: Roman (German Edition)
grün, rot, blau, lila –, der Eindruck der Bewegung der Fransen, die ihre Füße verdecken, sowie die Sinnlichkeit ihrer nackten Schultern, weshalb dieses Werk oft als Symbol für die sogenannte Belle Epoque genannt wird. Im Hintergrund erkennt man das im Dunkeln liegende Parkett eines Theaters – vermutlich ist es der Gran Salón Doré, in dem die junge Frau bis 1915 auftrat –, das mit dem erwartungsvollen Publikum voll besetzt ist. In der ersten Reihe, neben dem Rampenlicht, fällt ein Gesicht auf, das etwas deutlicher als die übrigen gestaltet ist; einige möchten darin ein Selbstporträt von Amadeo Lax sehen, der den Star seit seinen Anfängen bedingungslos bewunderte und in den Jahren 1913 bis 1920 zu seiner Geliebten machte. Montserrat Espelleta fand ein trauriges Ende: Verarmt und von allen vergessen starb sie 1930 an Syphilis.
Schätze der katalanischen Kunst , Malgrat de Mar 1987 (Ediciones Pampalluga)
XVIII
Am 4. November 1928 verheiratete Maria del Roser Golorons, verwitwete Lax, mit großem Pomp und ebenso großer Erleichterung ihren Erstgeborenen mit der jüngsten Brusés-Tochter. Die Trauung fand – ein selten gewährtes Privileg – im Chor der Kathedrale statt, und zwar in Anwesenheit von Milans de Bosch, dem damaligen Gouverneur der Provinz Barcelona, sowie weiteren dreihundert geladenen Gästen. Man hatte auch den König und Ministerpräsident Primo de Rivera eingeladen, aber deren Entschuldigungen sofort akzeptiert. Die reichen Katalanen dachten seinerzeit ausschließlich an das neue Wirtschaftsministerium, das sie von all ihren Übeln befreien sollte, und an die Organisation der Weltausstellung, die der Stadt zu ihrem wiedererlangten Glanz noch mehr Licht und bunte Brunnen hinzufügen würde. Angesichts solcher Dringlichkeiten hätte man die Anwesenheit der beiden wichtigsten Männer Spaniens bei einer Hochzeit – auch wenn dies die Eheschließung zwischen einer Berühmtheit aus der Künstlerwelt und einer Schönheit aus bestem Hause war – als eine mangelhafte Setzung der Prioritäten wahrgenommen.
»Soll Primo de Rivera doch das Katalanisch verbieten und Monumente abreißen, solange er sich um uns kümmert …«, sagte jemand.
Im Haus des Bräutigams begann das hektische Treiben bereits vor dem Morgengrauen. Zunächst kam Leben in die Küchen. Schon frühmorgens standen neben den Langusten, die zum Aperitif gereicht werden sollten, bereits die Kannen für den Kaffee, überall waren Gläser in einem fröhlichen Durcheinander verteilt, und die Dienstmädchen konnten wahrlich nicht verhehlen, dass ihre Nerven blank lagen. Concha schwirrte umher und richtete sowohl die Blumengestecke als auch die Häubchen der Hausmädchen und veranlasste, dass den Gästen, die im dritten Stockwerk nächtigten und die größtenteils entfernte Verwandte und Kollegen von Amadeo waren, das Frühstück bereitet wurde.
Die Señora hatte bereits um Viertel vor acht in ihrem kleinen Salon gefrühstückt und sich danach mit der dem Anlass angemessenen Sorgfalt zurechtgemacht.
»Jedes Jahr, das vergeht, benötigt man eine halbe Stunde länger vor dem Spiegel«, scherzte sie angesichts ihres Spiegelbildes. »Eigentlich hätte ich also schon letzte Woche mit dem Ankleiden beginnen müssen.«
»Hat eigentlich jemand den Bräutigam gesehen?«, fragte Vicenta kurz vor zehn Uhr.
Um Viertel nach zehn traf Juan ein, mit seinem schlichten, langen Priestergewand bekleidet. Concha ließ ihm eine nicht gerade klerikale Umarmung angedeihen.
»Junge, siehst du gut aus!«, begrüßte sie den Jesuiten und tätschelte ihm die Wangen, wie damals, als er ein kleiner Junge war. Und im Flüsterton fügte sie noch an: »Gott sei Dank bist du gekommen. Deine Mutter wird einen schönen Tag erleben, wenn sie ihre beiden Männer bei sich hat.«
»Ich bin wegen ihr gekommen«, brummte der Jesuitenpater, »und wegen des Mädchens. Meine zukünftige Schwägerin trifft ja keine Schuld. An der Seite meines Bruders wird sie schon ihr Kreuz zu tragen haben.«
»Jetzt komm schon, Juanito, so etwas darfst du nicht sagen. Habt ihr eure ewigen Streitereien immer noch nicht beigelegt?«
Der Priester warf seiner ehemaligen Kinderfrau einen vorwurfsvollen Blick zu. Sie entschuldigte sich fröhlich: »Herrje. Es kommt mir einfach nicht über die Lippen! Ich kann dich doch nicht Padre Juan nennen, Junge, oder? Ich habe dir doch die Windeln gewechselt! Ich verspreche dir, im Beisein von anderen verwende ich deine richtige Anrede,
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