Die Geister schweigen: Roman (German Edition)
allmählich erschienen, für den Anlass sorgfältig gekleidet. Dann trafen die Jugendfreunde des Bräutigams ein: Josep Maria Albert Despujol mit einem Wanst, den keine Weste zusammenhalten konnte, während seine Gattin, die ätherische Muntadas-Erbin, als Halsschmuck einen Smaragd trug, bei dessen Anblick jede Frau vor Neid platzen musste. Als ausgezeichnete Musikkenner waren sie die Ersten, die die Musik vom Grammophon kommentierten.
»Ah, der ›Valse triste‹ von Sibelius, wie originell«, meinte sie mit zusammengebissenen Zähnen.
Maria del Roser lächelte nervös und bedauerte, sich nicht persönlich um das musikalische Programm gekümmert zu haben. »Die ›Marcha real‹ wäre wohl besser gewesen«, sagte sie sich, aber nun war es zu spät. Auch Octavio Conde löste bei den Dienstmädchen wehmütige Seufzer aus. Mit seinem makellosen Cut, seinen blauen Augen und seinem dichten braunen Haar um die kaum sichtbaren Geheimratsecken war er die Distinguiertheit in Person. Eine Distinguiertheit, die durch seinen Status als Junggeselle und Millionär noch gesteigert wurde, die aber offensichtlich nicht ausreichte, um ihm eine Gemahlin zu bescheren. Noch vor ein paar Jahren hatte er gemeinsam mit seinem besten Freund den Ruf als Wüstling, bis schließlich sogar der gestrenge Don Eduardo einschreiten musste und seinen Sohn zur Vernunft brachte. Von da an konzentrierte sich Octavio voll und ganz auf die Leitung des Warenhauses, und falls sein zügelloses Leben überhaupt noch existierte, so gab es zumindest keinen Anlass mehr zu Gerede.
Der Neuankömmling küsste Doña Maria del Roser die Hand und umarmte Padre Juan brüderlich. Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen war er einer der wenigen, die Juans Anwesenheit den Wert zumaßen, der ihm zustand.
»Wie schön, dich zu sehen, Juan«, flüsterte er.
Octavio war der Einzige, der sich ehrlich für das Befinden des Jesuiten interessierte, doch Padre Juan wich allen persönlichen Fragen aus.
»Die Schüler werden immer wilder, also machen wir Fortschritte – in welche Richtung auch immer«, scherzte dieser.
Die Hausmädchen gingen mit silbernen Tabletts voller erlesener Getränke und exquisiter Häppchen herum, wobei vor allem die Languste großes Lob bekam. Maria del Roser wirkte wie die Königin bei einer Audienz. Nach und nach trafen weitere Gäste ein, doch noch fehlte jemand.
»Gedenkt der Bräutigam sich noch länger zu verstecken oder hat er seinen Entschluss schon bereut?«, fragte Octavio.
Die Lax-Witwe ergriff allmählich große Sorge.
»Wo steckt nur dein Bruder?«, fragte sie schließlich unter vier Augen ihren jüngeren Sohn.
In dem Augenblick trat Tatín Brusés – in ihre übliche Rosenduftwolke gehüllt – durch die Salontür und eilte zur Gastgeberin, um sie mit einem Kuss zu begrüßen. Wie immer verlief ihr Auftritt keineswegs unbemerkt. Für diesen Anlass trug sie ein Modell der gefragten Pariser Modeschöpferin Jeanne Lanvin, ein chinesisch inspiriertes Kleid aus grüner Seide mit einem festlichen schwarzroten Cape kombiniert. Die Hutmacherin hatte die fehlende Krempe ihrer Kappe mit einem Übermaß an Federn ausgeglichen. Auch Tatíns Handtasche war mit Federn verziert, so dass man sie aus der Ferne und bei nicht so genauer Betrachtung leicht mit einer seltenen Papageienart verwechseln konnte.
Den Aufruhr der Begrüßungen ausnutzend, machte sich Juan auf die Suche nach dem flüchtigen Bräutigam. Zuerst fragte er Concha nach seinem Bruder, die keine Ahnung hatte, wo dieser steckte. In der Küche teilte man ihm mit, dass der Señor weder gefrühstückt noch sich sonst habe blicken lassen. Juan stieg zur Mansarde hoch und klopfte an die Tür. Er bekam keine Antwort. Kurz bevor er sich durchrang, die engsten Amüsierkumpane seines älteren Bruders zu befragen, hörte er ein Auto kommen. Er beugte sich von dem kleinen Balkon des mütterlichen Salons und sah, wie Amadeo aus dem Citroën stieg, während er sich auf ein Silberstöckchen stützte und sein Gesicht mit einem Handtuch abwischte. Auf dem Rücksitz saß eine Frau mit nackten Schultern und wallender blonder Mähne, die lauthals lachte. Eine behandschuhte Hand wurde im Autofenster sichtbar, die dem Bräutigam etwas überreichte: einen Spiegel. Amadeo verbrachte einige Sekunden beim Anblick seines Spiegelbildes. Dann gab er ihn mit den Worten zurück: »Eine perfekte Rasur, Señorita. Erinnern Sie mich daran, dass ich, wenn ich es an einem anderen Tag nicht so eilig habe, Ihre
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