Die Geister schweigen: Roman (German Edition)
handelt, über den diese niemals gesprochen, aber auf dessen Verwirklichung sie ihr Leben lang hingearbeitet habe. Du kannst dir ja vorstellen, wie die Journalisten auf eine so rätselhafte Äußerung reagierten. Sie haben sie gefragt, welchen Traum sie meine, aber Fiorella hat nur geantwortet, sie hätte darüber keine weiteren Informationen, weil ihre Mutter niemals über die Jahre vor ihrer Ankunft am Comer See reden wollte. Und dann hat sie sich mit einem sanften Lächeln entschuldigt.
Das waren einige intensive Tage. Silvana und ich haben die Zeit genutzt und die Basis für etwas geschaffen, was zu einer schönen Freundschaft werden kann. Ich habe ihr viel über Amadeo Lax erklärt, über das Haus und über das zukünftige Museum, das dank dem Vermächtnis ihrer Großmutter nun endlich Wirklichkeit wird. Ich habe ein wenig gebraucht, bis ich ihr auch von Teresas Leiche erzählt habe und von den Recherchen, die in den letzten Wochen meine Familiengeschichte in ein völlig anderes Licht gerückt haben. Auf der Suche nach Schuldigen habe ich versucht, mich vorsichtig auszudrücken. Ich glaube, ich habe das Wort »mutmaßlich« verwendet, wie in den Nachrichtensendungen, als ich von Großvaters möglicher Beteiligung gesprochen habe. Ich habe den beiden gesagt, dass die ganze Wahrheit niemals herauskommen wird, weil diese ebenso in der alten Besenkammer vergraben ist und – anders als Großmutters Leichnam – nicht so einfach zu finden sein wird.
Fiorella hat eine Weile geschwiegen, bis sie mich fragte:
»In welchem Jahr soll dieser schreckliche Mord denn passiert sein?«
»Die Polizei sagt, zwischen 1935 und 1940«, habe ich geantwortet. »Ich glaube, es ist im Jahr 1936 passiert.«
Unser Spaziergang ging scheinbar ganz normal weiter, oder zumindest ist mir das so vorgekommen. Mir fiel gar nicht auf, dass Fiorella absolut nichts mehr sagte. Ich wollte mit den beiden im Cal Pinxo essen gehen, in Barceloneta. Die Sonne strahlte, und wir bekamen draußen einen Tisch mit Blick aufs Meer. Wir haben Cava bestellt und ein typisches Reisgericht mit Meeresfrüchten. Wir haben auf das zukünftige Museo Amadeo Lax angestoßen. Fiorella hatte vor dem Essen bereits einige Gläser geleert. Aus dem Glanz ihrer Augen habe ich geschlossen, dass sie zu den Menschen gehört, die melancholisch werden, wenn sie Alkohol trinken. Sie lächelte, ohne etwas zu sagen, und blickte mit einer Tristesse aufs Meer, die überhaupt nicht zu ihr passte. Plötzlich drehte sie sich zu Silvana um und sagte: »Es stimmt gar nicht, dass ich nichts über das Leben deiner Großmutter in Barcelona weiß. Einmal, aber wirklich nur einmal, hat sie mir davon erzählt. Sie hatte zu viel getrunken, so wie ich jetzt. Sie bat mich, mit niemandem darüber zu sprechen. Ich meinte damals ihre Gründe zu verstehen, aber in Wirklichkeit habe ich bis heute überhaupt nichts begriffen.«
Silvana sah ihre Mutter erstaunt an. Ich fühlte mich etwas fehl am Platz und sagte, dass ich zur Toilette gehen wolle. Doch Fiorella hat meine Hand genommen.
»Violeta, bleib hier. Das geht dich auch etwas an.«
Sie schenkte sich noch ein Glas ein. Dann sah sie mich an und begann: »Meine Mutter ist am 19. Juli 1936, nur wenige Stunden vor dem Ausbruch des Bürgerkriegs, aus Barcelona abgereist, und zwar mit falschen Papieren an Bord eines deutschen Frachters. Sie war fast sechzehn Jahre alt und ist vor Angst bald gestorben, und zwar wegen der Schüsse und Kanoneneinschläge, die man überall hören konnte. Aber auch, weil sie in den letzten Stunden vor ihrer Abfahrt etwas gesehen oder getan hatte: ›Etwas Schreckliches‹, hat sie zu mir gesagt, aber sie hat niemals gesagt, was das war. Sie hat mir erzählt, wie lange es dauerte, bis sie Barcelona nicht mehr erkennen konnte, und wie traurig sie war, als sie an ihre Eltern dachte, und von ihrer Angst, weil sie mit einem Mann geflüchtet war, der sie – das wusste sie – niemals gut behandeln würde.«
»Das hat Großmutter gesagt?«, fragte Silvana nach. »Aber woher hat sie das gewusst?«
Fiorella zuckte die Achseln.
»Sie ist doch nur ein Dienstmädchen der Familie gewesen. Ein junges hübsches Ding, auf das der Señor seine Augen geworfen hatte und das er in dem Moment der größten Verzweiflung zu seiner Reisebegleiterin gemacht hat.«
Silvana riss verblüfft die Augen auf.
»Dienstmädchen?«
Ich muss zugeben, dass mich diese Information auch sehr überrascht hat.
»Deine Großmutter hat immer gewusst, dass er wieder
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