Die Geister schweigen: Roman (German Edition)
gleiten –, was einige Zeit in Anspruch nimmt. Dann wäscht sie sich Gesicht, Hände und Füße. Sie kämmt sich, geht auf die Toilette, kämmt sich noch einmal und legt Parfüm auf. Bevor sie das Badezimmer verlässt, horcht sie an der Tür. Sie hört nichts. Was, wenn Amadeo schon schläft? Das wäre ein gewaltiges Glück. Sie lauscht noch einmal. Tatsächlich: Schweigen ist die einzige Antwort auf ihre Sorge. Sie schiebt den Riegel zurück. Sie öffnet langsam die Tür und geht hinaus.
Amadeo ist noch nicht eingeschlafen. Er erwartet sie rauchend im Bett, während er mit zerstreutem Gesichtsausdruck zu den großen Fenstern blickt. Er ist völlig nackt. Allein diese Entdeckung löst bei der Braut Panik aus, und ihre brüske Reaktion bringt ihren Ehemann zum Lachen: Teresa schließt sich erneut im Badezimmer ein und schiebt den Riegel vor. Nervös kommt sie sofort wieder heraus und bringt eine Erklärung hervor: »Ich vergesse doch immer etwas.«
Sie legt sich im Morgenmantel auf das Bett, die Hände am Ausschnitt versuchen, ihn zuzuhalten. Sie ist starr wie eine ägyptische Mumie. Amadeo betrachtet sie aus den Augenwinkeln. Sie ihn auch. In dem Zimmer herrscht eine Spannung, die kurz vor dem Zerspringen steht. Teresa verzieht krampfhaft die Lippen, ihre weitaufgerissenen Augen untersuchen die Deckenlampe, ihr Unterleib hebt und senkt sich in einem unregelmäßigen Takt. Sie presst die Beine so fest zusammen, dass ihre Knie zittern. Als Amadeo seine Zigarette in dem Aschenbecher auf dem Nachttisch ausdrückt, schließt Teresa die Augen und hält den Atem an. Sie ist wie der Angeklagte wenige Minuten vor der Hinrichtung. Amadeo dreht sich ein wenig zu ihr um und ergötzt sich an dem Schauspiel. Wenn er nur wollte, könnte er weitergehen. Er hat alles Recht dazu. Er könnte die Knöpfe öffnen oder sogar aufreißen, um das zu bekommen, was ihm von Gesetz wegen zusteht. Außerdem würde Teresa keinen weiteren Widerstand zeigen als diese wahnsinnige Angst, die sie quält, weil sie weiß, dass er tut, was er tun muss. Zu einer anderen Zeit, sagt er sich, hätte er nicht gezögert. Er wäre über den jungen und bebenden Körper seiner Ehefrau hergefallen, um seine Beute zu bekommen, wie es so viele andere frisch vermählte Ehemänner seiner Zeit getan haben und tun werden. Doch Amadeo geht auf die vierzig zu, und wenn auch weder seine Begierde noch seine Vitalität nachgelassen haben, so doch seine Ungeduld und seine Hast. Zum ersten Mal in seinem Leben zieht er es vor zu warten. Vielleicht weil es zum ersten Mal in seinem Leben nicht darum geht, eine plötzliche Begierde zu stillen, sondern um für den Rest seiner Tage eine treue Gefährtin zu gewinnen. Aus diesem Grund beschließt er, Teresa mit dem Respekt zu begegnen, mit dem er bislang noch keiner Frau begegnet ist.
Die Braut öffnet die Augen und erblickt ihren verehrten Amadeo, der sie lächelnd betrachtet. Der Schrecken in ihrem Gesicht weicht der Trauer.
»Es tut mir sehr leid«, stammelt sie. »Ich enttäusche dich, nicht wahr? Nicht, dass ich dich nicht liebe, nein – ich liebe dich von ganzem Herzen. Es ist nur, dass ich nicht weiß … Ich weiß nicht, wie …«
»Dreh dich um, schau mich an«, flüstert er.
Teresa versucht, eine andere Position einzunehmen. Die Schleppe ihrer Gewänder behindert sie dabei. Sie verheddert sich um ihre Beine und macht eine Sirene aus ihr. Schließlich lehnt Teresa sich auf die Seite, eine Hand unter ihren Kopf gestützt. Amadeo macht ein Licht aus und betrachtet das markante Profil seiner Ehefrau; die Situation amüsiert ihn. Teresa hat einen traumhaften Körper, er ist begierig ihn zu dem seinen zu machen. Doch das wird nicht heute sein. Er spürt die Begierde zwischen seinen Beinen brennen, aber er hält sich zurück.
»Verzeih mir.« Teresa beginnt zu weinen. »Verzeih mir, bitte. Ich habe solche Angst.«
Amadeo bringt sie mit einem Kuss auf die Stirn, den sie mit einem Schauder aufnimmt, zum Schweigen.
»Ich verzeihe dir alles«, sagt er ihr, während er ihre schimmernden Augen bewundert. »Das Einzige, was ich dir nicht verzeihen könnte, wäre Untreue. Denk immer daran. Und nun ruhe dich aus. Morgen ist ein neuer Tag.«
Teresa beruhigt sich beim Klang dieser Worte. Sie schließt die Augen, und die Müdigkeit eines Tages voller Anspannungen fällt von ihr ab. Amadeo verlässt für einen Augenblick das Zimmer. Er betritt das Kabinett, telefoniert, kehrt wieder in das Zimmer zurück. Er geht sicher, dass
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