Die Geister schweigen: Roman (German Edition)
als sie Antonia auf dem Flur mit einem Tablett näher kommen sieht.
Teresa hält das Buch auf dem Schoß, als würde sie es wiegen. Nur wenige Zentimeter von dem Buchrücken entfernt wächst Amadeos erstes Kind. Dieses Wesen ist für sie das Wirklichste in ihrem Leben, es bestimmt ihre Handlungen, ihre Worte, ihre Entscheidungen. Sie unternimmt nichts, ohne jede Minute an die Zukunft dieses neuen Menschen zu denken, mit dessen Leben ihr eigenes fest verbunden ist.
Antonia schenkt ein und zieht sich wieder zurück. Durch die großen Fenster flutet die Sonne herein.
»Versprechen Sie mir bitte nur, das Buch aufmerksam zu lesen. So, als ob ich selbst es geschrieben hätte.«
Teresa schlägt das Buch auf. Sie betrachtete das Exlibris aus Octavios Bibliothek. Es enthält die Symbole, die ihn so gut kennzeichnen: Fleiß, Klarsicht, Weisheit und Ehrlichkeit. Und seine Initialen: O. C. G. O.
»Ich werde es immer bei mir haben«, verspricht sie.
Sie leeren hastig ihre Tassen, und Octavio verkündet, dass er nun gehen müsse. Teresa atmet erleichtert auf. Seine Anwesenheit stört und kompromittiert sie gewissermaßen, dabei ist seine Abreise das Letzte, was sie erleben möchte.
»Ich gehe davon aus, dass Sie nichts von Ihren Plänen abbringen kann.«
»Nichts, was in Erfüllung gehen kann.«
Sie begleitet ihn zur Tür. Antonia reicht Octavio Mantel und Hut.
»Sobald ich in New York angekommen bin, schicke ich Ihnen meine neue Adresse. Ich meine« – im Hinblick auf die Hausangestellte verbessert er sich – »Ihnen und Ihrem werten Herrn Gemahl.«
Der Abschied, den Antonia und Laia in allen Einzelheiten verfolgen, könnte nicht kälter ausfallen und zerreißt doch zugleich beiden das Herz, was selbstverständlich keiner von ihnen zeigt. Schließlich stehen die Konventionen über ihrem Begehren.
Teresa geht wie im Traum die Treppe hoch und flüchtet in ihren kleinen Salon, wo sie mehr als eine Stunde lang nur weint. Später erinnert sie sich an das Buchgeschenk, schlägt es auf und liest unter Schluchzen die unterstrichenen Sätze. Die Geheimbotschaft entgeht ihr – noch.
Amadeo trifft vor dem Mittagessen ein. Ihm missfällt auf Anhieb die merkwürdige Stimmung im Haus. Teresa verbirgt ihren Trübsinn in ihren Gemächern. Seine Mutter, die in letzter Zeit alles vergisst, kommt nicht rechtzeitig zum Mittagessen nach Hause. Das Essen wird den Eheleuten im Salon serviert, und die beiden sitzen in einem düsteren Schweigen bei Tisch. Teresa probiert kaum einen Bissen, und irgendwann vergeht auch Amadeo angesichts ihrer trüben Stimmung der Appetit. Es ist so, als säße er mit einer Seele im Fegefeuer beim Essen. Als er es schließlich leid ist und Teresa fragt, was zum Teufel mit ihr los ist, erhält er eine ausweichende Antwort: »Nichts. Ich bin müde.«
Heute ist das Kabinett der Rückzugsort für einen wütenden und ratlosen Mann. Man serviert ihm dort den Kaffee, und während er in der Tasse rührt, verliert er sich in dem Strudel, der so schwarz ist, wie ihm seine Gedanken vorkommen. Keine fünf Minuten später hört er an der Tür ein zaghaftes Pochen. Nachdem er »Herein« gerufen hat, tritt Antonia ein, die sich ihre Hände an der Schürze der Uniform abtrocknet, welche im Lauf der Zeit nur ein wenig der Mode angepasst wurde und inzwischen etwas kürzer, enger und leichter geworden war. Er ist damit einverstanden: Die altmodischen langen Röcke haben immer nur den Dreck aufgefegt.
»Darf ich?«, fragt die Frau.
»Komm herein und mach die Tür zu.«
Antonias Gestalt erinnert an einen gehetzten Vogel. Sie geht gebeugt, mit hängenden Schultern und wirkt so, als hätte sie einen Buckel. Sie streckt den Kopf ein wenig vor, weshalb sie in diesem Moment wie ein Aasgeier aussieht.
»Du hast auf dich warten lassen«, wirft ihr Amadeo vor.
»Entschuldigen Sie bitte, Señor. Es gab in der Küche viel zu tun.«
»Dürfte ich mal erfahren, warum deine Señora in dieser Verfassung ist?«
Die Kammerfrau zögert nicht. Ihre Stimme klingt so sicher wie die eines erfahrenen Verräters, der gerade von seiner Schuld freigesprochen wird.
»Sie hat diesen Morgen unverhofft Besuch bekommen«, erklärt sie.
»Besuch? Von wem?«
»Von Don Octavio, Señor. Er ist etwa eine halbe Stunde lang hier gewesen. Seit er gegangen ist, weint die Señora nur noch.«
Amadeo legt seine Stirn in tausend Falten und starrt in seine Kaffeetasse, deren Inhalt genauso schwarz ist wie seine Gedanken.
»Worüber haben sie
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